Das Erbe des Greifen
hier sein!« Selbst in den warmen Strahlen der Morgensonne war das Gesicht des Mannes blass und seine Augen weit aufgerissen.
Im gleichen Moment trat auch Meister Ralik aus seinem Zelt heraus, er trug nur einen wattierten Waffenrock, hielt aber seinen Kriegshammer in beiden Händen. Garret wusste, dass der Zwerg einige Jahrhunderte alt war, doch wie er nun so dastand und sich den Schlaf aus den Augen rieb, wirkte er, als wäre er weit über tausend.
»Was ist los?«, fragte er mit belegter Stimme. »Werden wir angegriffen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte der Söldner. »Sie sind einfach nicht mehr da!«
»Er meint die Toten«, erklärte Tarik, ein Scharfschütze aus der Söldnerkompanie des Hauptmanns Hendriks, der bereits vollständig gekleidet und gerüstet war. Seine Armbrust hing ihm auf dem Rücken. »Wir haben die Gefallenen ja am alten Hafen gestapelt, so weit von unserem Lager entfernt, wie es nur möglich war«, fügte er hinzu. »Ich habe es soeben mit meinen eigenen Augen gesehen, ein Teil der Toten ist verschwunden.«
»Wie soll das möglich sein?«, fragte Ralik nach und griff seinen Hammer fester. »Sie sind ja wohl kaum von den Toten auferstanden und davongegangen!«
»Nein, natürlich nicht. Die Spuren sagen etwas anderes«, antwortete Tarik ruhig. »Ich denke eher …« Vom Hafen her waren plötzlich Schreie zu hören, und die Augen des anderen Söldners weiteten sich, während er mit zitternden Fingern in Richtung Meer wies. Selbst von hier aus konnte man einen langen, dunklen Tentakel sehen, der sich aus dem Wasser schob und über die steinerne Randbefestigung der Hafenanlage tastete.
»Ich dachte immer, das wären nur Legenden«, meinte Garret fasziniert.
»Gerade in letzter Zeit habe ich aufgehört, so zu denken«, bemerkte Garen, der dem Spektakel ebenso fasziniert folgte wie sein Sohn.
Auf die Entfernung war nur zu sehen, wie einige wenige Männer dort unten davonrannten, während sich der Tentakel aus dem Haufen der Toten neue Opfer heraus suchte, sich gleich um drei tote Körper auf einmal wickelte und wieder mit ihnen im Wasser verschwand. »Das war es, was ich vorher mit den Spuren meinte«, merkte Tarik leise an. »Sie wurden ins Wasser gezogen.«
»Das Biest werde ich mir mal genauer anschauen«, sagte Garret. »Schließlich sieht man so etwas nicht alle Tage!«
»Es ist ein ziemlich großes Biest«, gab Garret bald darauf zu bedenken. Er, Tarlon und Vanessa hatten sich flugs zur alten Börse begeben, wo sie das Schauspiel von der Brüstung des Dachs aus beobachteten. Sie standen keine zehn Schritte von der Stelle entfernt, an der sie Marten mit seinem Falken zwei Tage zuvor vor der Flut gerettet hatte.
Selbst hier oben waren die Zeichen der Flut noch überall zu sehen, es war ein wahres Wunder, dass die alte Börse die fürchterliche Sturmflut so gut überstanden hatte. Die schweren Bronzetüren des Gebäudes gingen nach außen hin auf und waren von der Flutwelle zugedrückt worden. Auf diese Weise hatten sie und die schweren Mauern der Flut überraschend gut standgehalten, und so war es auch zu erklären, dass sich die meisten Überlebenden innerhalb des alten Gebäudes befunden hatten.
Neugierig, wie er war, hatte Garret dort auch die Zelle aufgesucht, in der er und Tarlon gefangen gehalten worden waren. Die allgegenwärtigen Spuren des Wassers machten deutlich, dass sie, zumindest für kurze Zeit, vollständig geflutet gewesen sein musste.
Viel hatte also nicht gefehlt und sie wären jämmerlich ertrunken, dachte Garret, schüttelte den Gedanken aber gleich wieder ab und beugte sich etwas über die breite Brüstung, um die neue Bedrohung besser in Augenschein nehmen zu können. Wenn es denn wirklich eine Bedrohung war.
»Dort!«, rief Garret im gleichen Moment aus und wies auf eine Art Panzer, der sich gerade aus dem Wasser hob. Der Dammbruch hatte Tonnen von Schlamm in den Hafen gespült, und das Wasser war noch immer nicht klar genug, um etwas Genaueres zu erkennen, nur die Art, wie sich das Wasser an manchen Stellen wölbte, oder wenn das Ungeheuer kurz die Wasseroberfläche durchstieß, ließ erahnen, womit sie es hier zu tun hatten.
Bevor die Flutwelle gekommen war, hatte eines der Schiffe Beliors noch Feuer gefangen und war gesunken, die Flutwelle selbst hatte dann ein zweites Schiff aus dem Wasser gehoben und auf das erste geworfen, so dass nun beide Wracks, ineinander verkeilt, kurz vor der Hafenanlage auf Grund lagen.
Zum größten Teil waren sie
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