Das Erbe des Greifen
versunken, nur gebrochene und geschwärzte Masten und Spanten ragten noch immer aus dem Wasser heraus. Die Größe des Ungeheuers war alleine schon daran erkennbar, dass die Masten der beiden versunkenen Schiffe wankten, als das Untier versuchte, im flachen Wasser Platz für sich zu finden.
»Es schiebt sie einfach zur Seite«, rief Vanessa fassungslos, während ihr Bruder nur ungläubig den Kopf schüttelte. Für einen kurzen Moment wurde sogar das Deck eines der Wracks sichtbar, als das Ungeheuer es zuerst nach oben und danach zur Seite schob, dann versank es wieder in den Fluten.
Erneut hob sich der schwarze Panzer aus dem vor lauter Schlamm braunen Wasser empor, pechschwarz und über und über mit Muscheln und Algen bewachsen, war er nun für den Bruchteil einer Kerze vollständig zu sehen. Er war fast zehn Schritt länger, wenn auch etwas schmaler als die versunkenen Galeonen Beliors.
Doch der Panzer war nur der kleinere Teil des Leviathans, der sich dort im Hafen wälzte. Diesmal erhoben sich gleich zwei der Tentakel, jeder von ihnen gute vierzig Schritt lang, aus der Brühe und tasteten den Rand des Hafens ab. Schweigend sahen die drei Freunde zu, wie sich jeder von ihnen zwei Tote griff und in die braunen Fluten zerrte.
Das Ungeheuer legte sich zur Seite, und sein mächtiges Auge, bestimmt gut einen Schritt im Durchmesser, sah zu ihnen hoch. Einen Moment schien es die Beobachter auf dem Dach der alten Börse zu untersuchen, dann tauchte das Ungeheuer wieder, und eine mächtige Welle zeigte ihnen, wie es sich mit überraschender Geschwindigkeit entfernte.
»Göttin«, hauchte Vanessa ergriffen. »Es ist riesig!« Ratlos schaute sie zu Tarlon hinüber. »Wie sollen wir, solange dieses Ungeheuer im Hafen herumschwimmt, nur mit einem Boot zum Königspalast übersetzen und ihn untersuchen?«
Tarlon wandte sich auf ihre Worte hin vom Hafen ab und blickte auf die See hinaus, wo keine vierhundert Schritt entfernt noch immer die massiven Mauern des alten Palasts aus den Fluten ragten. Schon Belior hatte versucht, ihn zu erforschen, denn wie sie selbst hatte auch er die Krone dort vermutet.
»Es muss trotzdem getan werden«, stellte Vanessa bedrückt fest und sprach somit seine eigenen Gedanken aus. »Selbst wenn wir wissen, dass Belior dort nichts gefunden hat, dürfen wir es nicht unversucht lassen.«
Tarlon nickte nur.
»Dazu müssen wir dann nur zuerst das Untier vertreiben«, erklärte Garret trocken und deutete zu den Zelten hinüber. »Ich bin gespannt, wie unsere Leute das anstellen wollen.«
Tarlon sah ihn überrascht an.
»Das hört sich an, als ob du davon ausgehst, dass sie erfolgreich sein werden?«
Garret zuckte die Schultern.
»Ja. Natürlich. Es ist nur ein Ungeheuer! Auch wenn es ein höchst beeindruckendes ist! Schade, dass wir nicht dabei sein können!«, fügte er noch grinsend hinzu. »Das wäre ein Abenteuer ganz nach meinem Geschmack.«
»Du bist verrückt, weißt du das?«, stellte Vanessa fest, doch Garret schüttelte lachend den Kopf.
»Ich bin nur zuversichtlich«, erklärte er ihr. »Wenn man schon von vornherein aufgibt, wird man letztlich nie Erfolg haben, also gehe ich davon aus, dass es auch für das Untier eine Lösung geben wird!«
Tarlon ignorierte Garret und seine Schwester, und blickte wieder hinunter auf den Platz, wo sich, in sicherer Entfernung vom Hafenbecken, sein Vater, Ralik und Elyra miteinander unterhielten. Immer wieder sah er, wie Elyra auf den Leichenstapel deutete und dabei energisch den Kopf schüttelte.
»Es passt ihr nicht, was da geschieht«, murmelte er vor sich hin.
»Was passt ihr nicht?«, fragte Garret, dessen Blick jedoch noch immer der riesigen Welle folgte, die das Ungeheuer vor sich herschob.
»Sie wird der Meinung sein, dass sogar die Soldaten Beliors ein Begräbnis verdienen«, erklärte ihm Vanessa.
»Warum? Es hat doch eh schon Hunderte von ihnen ins Hafenwasser gespült«, antwortete Garret. »Ich weiß außerdem nicht, was wir sonst mit ihnen tun sollen. Um sie zu verbrennen, fehlt uns das Holz … Schaut!«, rief er und deutete auf das Hafenwasser. »Jetzt, wo das Riesenvieh fort ist, kommen auch die anderen Biester!«
Tatsächlich durchschnitten nun Dutzende von Rückenflossen das Wasser im Hafenbecken, einmal zeigte sich sogar eine Schlange an der Oberfläche, die bestimmt gut und gerne an die zwanzig Schritt lang war und besonders Tarlon Sorgen bereitete. Vielleicht war sie ja dazu imstande, an Land zu kommen. Schweigend
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