Das Erbe des Greifen
Wein an den Tisch brachte. »So etwas wie eine Königin«, erklärte der alte Mann und hielt, zur Überraschung Lamars, die Hand über seinen Becher, als der Wirt ihm nachschenken wollte.
»Oder wie ein General. Jedenfalls verhält es sich so, dass die Kronoks dem Befehl ihrer Brutmütter bedingungslos folgen … sie können nicht anders, es ist ihre Natur. Jedes Gelege hat wohl seine eigene Brutmutter, und es ist anscheinend so etwas wie ein Sakrileg, die Brutmütter anderer Gelege anzugreifen.«
»Und was hat das Ganze nun mit unserer Geschichte zu tun?«
»Noch nichts, außer dass es immer darauf ankommt, wie jemand einen anderen sieht. Wonach entscheiden wir Menschen, ob wir andere Wesen respektieren? Wäret Ihr ein Kronok, Lamar, so würdet Ihr an uns Menschen wohl nicht viel finden, das Euch Respekt abnötigt. Klein und hilflos, ungeschuppt, mit stumpfen Zähnen, vor allem aber noch nicht einmal dazu in der Lage, miteinander zu reden, ohne dass es zu Missverständnissen kommt. Kleine, nackte und dumme Tiere mit Werkzeugen.«
»Interessante Sichtweise«, meinte Lamar und nippte an seinem Wein. »Aber nicht so ganz die meine.« Der alte Mann sah ihn scharf an. »Es gibt sogar Leute, die ihre Mitmenschen auf dieselbe Art und Weise betrachten.«
»Damit habt Ihr leider Recht«, stimmte der Gesandte dem alten Mann zu und brauchte dabei nur an den Prinzen zu denken.
»Jedenfalls hatte dieser Schuss noch andere Auswirkungen, die sich uns aber erst später offenbarten«, sprach der Geschichtenerzähler weiter. »Im Moment waren Garret und Tarlon erst einmal nur froh, dass sie überhaupt noch unter den Lebenden weilten.«
»Ihr wollt sagen, dass dieser Garret nur deshalb eine so große Klappe besaß, damit andere nicht erkannten, wie viel Angst er in Wirklichkeit hatte?«
Der alte Mann sah ihn seltsam an und nickte dann langsam. »Das mag gut und gerne so gewesen sein.«
Der Gesandte schmunzelte. »Vielleicht hätte man ihm mal erklären sollen, dass es nicht darauf ankommt, ob man Angst hat oder nicht. Angst kann durchaus etwas sehr Sinnvolles sein.«
»Worauf kommt es denn dann an?«, fragte der alte Mann neugierig.
»Darauf, dass man sich seiner Angst stellt und trotzdem tut, was getan werden muss«, erläuterte Lamar und sah in seinen Becher. »Manchmal hat man ja einfach auch nur Angst vor der Angst. Aber selbst dann gilt, was ich gerade gesagt habe.«
Der Geschichtenerzähler musterte Lamar eindringlich. »Ihr habt das lernen müssen?«
»Man lernt so einiges am Hofe«, antwortete Lamar bitter und spielte mit seinem Becher.
»Den Eindruck hatte ich bislang nicht«, sagte der alte Mann.
»Dann versucht es einmal als Prügelknabe des Prinzen, und Ihr werdet einen ganz anderen Blick auf die Dinge gewinnen«, versicherte ihm Lamar und nahm einen tiefen Schluck.
»War das Euer Schicksal?«, erkundigte sich der alte Mann so leise, dass die anderen im Raum es nicht hören konnten.
»Ja«, erwiderte Lamar. »Ich habe meine Haut für ihn zu Markte getragen, doch er kennt nicht einmal meinen Namen.«
Der alte Mann begutachtete Lamar nachdenklich. »Wisst Ihr, ich hatte Euch für ein Mitglied der königlichen Familie gehalten. Außerdem wurdet Ihr mir auch so angekündigt.«
»Ihr hattet mich erwartet?«, fragte Lamar überrascht. »Wie das?«
»Nun, es ist meine Aufgabe, dem, der kommt und nach der Krone von Lytar fragt, ihre Geschichte zu erzählen. Nur seid Ihr nicht der Prinz.«
Lamar lachte auf. »Ich bin weit davon entfernt, ein Prinz zu sein, guter Mann. Wer hat Euch denn gesagt, dass der Prinz kommen würde?«
»Die Hohepriesterin der Mistral«, antwortete der alte Mann bereitwillig, und noch immer lagen seine Augen seltsam prüfend auf dem Gesicht des jungen Mannes. »Sie teilte mir mit, dass der Prinz die Einladung erhalten hätte.«
»Hat er auch«, bestätigte Lamar, dessen Knie allein bei der Erinnerung an seine Audienz beim Prinzen schon wieder zu schmerzen begann. »Aber er hatte Besseres zu tun und schickte mich an seiner statt. Ich sollte in Lytara nach der Krone fragen und sie ihm danach bringen.«
Wieder lachte er. »Ich denke mir, dass Eure Geschichte wohl noch lange nicht zu Ende ist, und wenn der Prinz alleine den Teil kennen würde, den Ihr mir bislang erzählt habt, hätte er wohl nicht so leichtfertig gesprochen!«
»Das wäre zu wünschen«, schmunzelte der Geschichtenerzähler. »Aber hat ihm die Priesterin denn nicht gesagt, dass es ein Abkomme des Königs sein muss, der
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