Das Erbe des Vaters
haben beide alles versucht. Aber das Haus ist zu groß für uns allein. Wozu brauchen wir so ein Riesenhaus, wo wir weder Kinder noch Enkelkinder haben?«
»Wo würdest du denn lieber leben, Evelyn? In einer Vorortvilla vielleicht? Oder sollen wir in eines der Sozialhäuser in Swanton St. Michael ziehen?«
»Natürlich nicht –«
»Und wenn ich Swanton Lacy verkaufen wollte, was glaubst du wohl, wer es kaufen würde?«
Sie sagte: »Es gibt bestimmt Leute …«, aber sie sprach nicht weiter, als sie sich an Hugo Longvilles Worte erinnerte: Clarewood war ein netter kleiner Landsitz. Von der Sorte gibt es reichlich .
»Tatsache ist«, sagte sie mit Entschiedenheit, »daß wir keine Stallungen brauchen. Und auch keinen Wassergarten. Und keine kleine Brücke.«
Er schlug die Ofenklappe zu und richtete sich auf. »Es geht nicht darum, was wir brauchen. Wenn mein Großvater nur danach gegangen wäre, was er brauchte, wäre Swanton Lacy niemals wiederaufgebaut worden, sondern ein Haufen Asche geblieben.« Er klatschte mehrmals in die Hände, um sie vom Ruß zu befreien.
»Vielleicht wäre das besser gewesen«, entgegnete sie bitter. »Vielleicht säßen wir dann nicht hier wie in einer Falle.«
»Evelyn, das ist unser Zuhause.«
»Zuhause?« Sie schaute sich um. Ihr Blick wanderte über die riesigen, knackenden Rohre, den antiquierten Ofen, die Glocken, die in Reih und Glied an der Wand angebracht waren, um Bedienstete herbeizurufen, die es nicht mehr gab. »Das soll ein Zuhause sein? Nie im Leben! Das ist ein Mausoleum.«
Es war, als sähe er sie zum erstenmal richtig an. »Du scheinst mir sehr erregt zu sein. Vielleicht ist die Pflege deiner Mutter zuviel für dich. Offensichtlich geht es dir nicht gut.«
»Es geht mir glänzend, Osborne.«
»Vielleicht solltest du aber doch einmal Dr. Lockhart aufsuchen.«
Sie hätte ihm am liebsten den nächstbesten Gegenstand ins Gesicht geworfen. »Herrgott noch mal!« rief sie. »Hör auf mit dem Quatsch, Osborne. Ich bin nicht krank. Und meine Mutter ist auch nicht schuld. Du bist schuld. Weil du einfach nicht zuhörst. Du hast mir noch nie zugehört, verdammt noch mal!«
Beinahe hätte sie über sein Gesicht gelacht. Zum erstenmal in all den Jahren ihrer Ehe hatte sie ihn derart beschimpft. Sie mußte die Hand auf den Mund drücken und aus der Küche laufen. Trotzdem quoll das Kichern zwischen ihren Fingern hervor, als sie durch die Gänge rannte, und die geschnitzten Holzfiguren an Simsen und Balken lachten mit ihr.
Nach Mrs. Plummers Rückkehr aus dem Krankenhaus waren Romys Pflichten gewachsen. Sie hatten eine Stenotypistin eingestellt, die die Korrespondenz und die Ablage erledigte, so daß Romy Aufgaben übernehmen konnte, die Mrs. Plummer früher selbst erledigt hatte. Hätte nicht eine zwar schwache, aber ständig nagende Angst sie geplagt, so wäre Romy hocherfreut gewesen über diese Erweiterung ihres Pflichtbereichs.
Ihre Angst galt Mrs. Plummer, die in letzter Zeit auffallend an Gewicht verloren hatte und schneller ermüdete als vor ihrer Operation. Schwierigkeiten, denen sie früher mit Zorn oder Sarkasmus begegnet war, wurden jetzt müde oder resigniert hingenommen. Es war, als wüßte sie, daß ihre Kräfte beschränkt waren und sie sparsam mit ihnen haushalten mußte. Romy hatte den Eindruck, daß sie auch an Flexibilität eingebüßt hatte – nicht nur in bezug auf die täglichen kleinen Probleme im Betrieb, sondern auch in bezug auf ihre stürmische Liebesbeziehung mit Johnnie Fitzgerald.
Romy gab Johnnie die Schuld an Mrs. Plummers Kräfteverfall und Mutlosigkeit. Im neuen Jahr hatte Mirabel Plummer erfahren, was Romy und Jake und ganz Soho schon seit Monaten wußten: Johnnie hatte eine Affäre. Seine Geliebte war die hochgewachsene, üppige Rothaarige, die Romy mit ihm gesehen hatte. Norah O’Neill, eine Irin, war Anfang Dreißig; abends sah man sie meistens von Verehrern umringt im Colony Room oder im Gargoyle, wo ihr volles, rauchiges Lachen durch das allgemeine Stimmengewirr tönte. Norah schien Johnnie Fitzgerald in keiner Weise zu bevorzugen oder besonders gefällig zu sein. Was vielleicht ihre Anziehungskraft ausmachte, da Johnnie Fitzgerald ein Mann war, der immer haben wollte, was er nicht haben konnte.
Romy war gerade bei ihrer Mutter in Stratton zu Besuch gewesen, als Mirabel Plummer entdeckt hatte, daß ihr Geliebter sie betrog. Es hatte einen Riesenkrach gegeben, wie Teresa Romy berichtete, als diese ins Trelawney
Weitere Kostenlose Bücher