Das Erbe des Vaters
Züge, und alles war gut. Evelyn selbst war die junge Frau auf Anhieb sympathisch, und nach einem Gespräch mit ihrer Mutter bot sie ihr die Stellung als Haushälterin und Gesellschafterin an.
Einige Tage später kehrte Evelyn nach Swanton Lacy zurück. Ihre Stimmung verdunkelte sich, als sie in die Auffahrt einbog. Der Winter war regnerisch gewesen, und im Kies standen überall große gelbe Pfützen. Das Wasser im Teich hinter dem Haus war im vergangenen Monat beträchtlich gestiegen und hatte nicht nur den Rasen, sondern auch die immer noch im Bau befindlichen Stallungen überschwemmt. Über Nacht war der Regen durch den noch ungedeckten Dachstuhl ins Innere der Ställe geströmt, und die halbfertigen Mauern waren im Schlamm versunken. Der von Osborne beauftragte Bauunternehmer, ein verschlagen wirkender Mensch namens Woolmer, den Evelyn verdächtigte, sie zu bestehlen (seit er auf dem Grundstück war, war einiges verschwunden – eine Marmorurne, Werkzeuge aus der Garage, eine Leiter), hatte die Arbeit mitten im größten Chaos stehen- und liegenlassen und war seither nicht mehr gesehen worden.
Drinnen war es unmöglich, mit dem Matsch fertig zu werden, der sich in den Korridoren und auf der Treppe sammelte; unmöglich auch, sämtliche Lecks im Dach zu finden und abzudichten. Das Dach war immer die anfällige Stelle des Hauses gewesen. Das lag an seiner Architektur, ein spätviktorianisches Ensemble aus Giebeln, Spitzen und neugotischen Türmchen. Meistens war das Problem mit einigen strategisch plazierten Eimern zu lösen gewesen. Aber in diesem Jahr, dachte Evelyn, als sie ins Haus ging, gab es wahrscheinlich in ganz Südengland nicht genug Eimer, um sämtliche Lecks abzudecken. Osborne war schon auf dem Speicher gewesen, hatte Schüsseln und Eimer verteilt und versucht, die Dachschindeln zurechtzurücken. Außerdem hatte sich ein Dachdecker dort oben umgesehen und ihnen mitgeteilt, daß das ganze Dach erneuert werden müsse, wofür er einen astronomischen Preis genannt hatte. Evelyn hatte den Verdacht, daß er mit Mr. Woolmer verwandt war. Osborne hatte ihn hinausgeworfen.
Jetzt schien die Feuchtigkeit das ganze Haus zu durchdringen. Es roch nach Moder und Hoffnungslosigkeit. Sie berührte einen Heizkörper. Er war kalt. Als sie in der Küche die Herdklappe öffnete, sah sie, daß das Feuer ausgegangen war. Die Asche war grau, und im Kohlenkasten lag keine Kohle.
Sie fand Osborne in seinem Arbeitszimmer. Er ging Kohle holen. Oben wusch sie sich mit eiskaltem Wasser und zog ihren dicksten Pullover über. Feuchtigkeit und Kälte schienen ihr bis in die Knochen zu kriechen. Sie wünschte, sie hätte eine lange Hose. Eine Hose war bestimmt wärmer als ein Rock und Strümpfe. Osborne mochte Frauen in Hosen nicht, darum hatte sie sich nie welche gekauft, dabei, dachte sie jetzt beinahe wütend, liefen Frauen schon seit Jahrzehnten in Hosen herum. Sogar Prinzessin Elisabeth hatte während des Krieges welche getragen.
Unten in der Küche schaufelte Osborne Kohle in den Ofen. Evelyn sah sie beide plötzlich, wie sie auf einen Außenseiter wirken mußten: Relikte aus einer anderen Zeit mit ihren altmodischen Kleidern und Manieren, mit ihrem überholten Lebensstil, der unhaltbar geworden war.
Aber sie zwang sich zu sagen: »Was hast du heute gemacht, Osborne?«
»Ich habe mir die Pläne für die Stallungen noch einmal angesehen.« Er stocherte mit dem Schürhaken in der Kohle. »Ich bin überzeugt, ein Teil des Problems waren die Abflußrohre. Ich werde sie neu verlegen müssen.«
Sie starrte ihn ungläubig an. »Du hast immer noch vor, die Stallungen umzubauen?«
»Aber ja.« Er wischte sich den Kohlestaub von den Händen und zündete ein Streichholz an.
Sie konnte nicht anders. Sie murmelte: »Das ist ja lächerlich!«, und er hielt einen Moment inne.
»Es tut mir leid, daß du das so siehst, Evelyn.«
»Osborne, dieses Haus stürzt uns über den Köpfen ein.«
Zeitungspapier knisterte und fing Feuer. »Du übertreibst maßlos, Evelyn.«
»Das Dach –«
»Das Dach hat ein paar undichte Stellen, das ist alles. Das haben alte Häuser nun mal so an sich.«
»Ein paar undichte Stellen?« Ihre Stimme wurde schrill. »Es ist das reinste Sieb, Osborne.«
»Unsinn –«
»Du weißt genau, daß es so ist.« Sie versuchte, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen. »Vielleicht ist es Zeit, sich geschlagen zu geben.«
»Geschlagen? Ich betrachte mich nicht als geschlagen.«
»Du hast dich so sehr bemüht. Wir
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