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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sie zögernd stehen und drückte die Fingerspitzen auf ihre Augen, als sie den Druck der Tränen dahinter spürte.
    Unversehens sagte jemand hinter ihr: »Was suchen Sie hier? Was tun Sie in unserem Haus?«
    Sie wirbelte herum. Sie erkannte ihn augenblicklich: der dunkelhaarige junge Mann von dem Photo an der Dielenwand.
    »In Ihrem Haus?« Ihr Zorn kehrte zurück; sie konnte kaum sprechen vor Wut. »Das ist mein Haus! Haben Sie verstanden? Meines! Sie haben es mir gestohlen. Sie haben mir mein Haus gestohlen und meinen Vater umgebracht!«
    Als sie wieder weg war, ging Caleb hinaus und holte einen Spaten aus dem Schuppen, um den Graben fertig auszuheben, den er am Morgen begonnen hatte. Immer wieder stach das Blatt des Spatens ins Erdreich, aber die schwere Arbeit konnte den Schock über die Worte der jungen Frau nicht vergessen machen, und nach etwa zwanzig Minuten legte er eine Pause ein und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Vielleicht war sie aus einer Irrenanstalt entflohen. Er stellte sich hohe viktorianische Fenster vor und die Frau, die an den Eisenstangen des Gitters rüttelte. Oder besser noch, sie war ein Geist gewesen, eine verlorene Seele aus der Vergangenheit von Middlemere …
    Nein, nein, sie war natürlich völlig real gewesen. Billig gekleidet, mit zerrupftem braunem Haar und wütend funkelnden braunen Augen. Dieser Haß in ihrem Blick! Er kannte solchen Haß nicht. Das ist mein Haus , hatte sie gesagt. Sie haben es mir gestohlen und meinen Vater umgebracht .
    Das war natürlich völlig absurd. Trotzdem war er froh gewesen, als oben auf dem Hügel ihr Freund aufgekreuzt war und nach ihr gerufen hatte. Sie hatte auf dem Absatz kehrtgemacht und war aus dem Haus gerannt, den Fußweg hinauf, wie von Furien gehetzt. Caleb hatte einen raschen Rundgang durchs Haus gemacht, um zu prüfen, ob sie etwas mitgenommen hatte. Aber das Haushaltsgeld seiner Mutter war noch in der Teedose in der Küche, ihr Schmuck im Kasten auf dem Frisiertisch. Und die Porzellanputten und Keramikhunde auf den diversen Kaminsimsen waren unberührt. Was Caleb bedauerte; er konnte kaum eine Bewegung machen, ohne die verdammten Dinger umzustoßen, und hätte nichts dagegen gehabt, wenn ein Einbrecher die Reihen gelichtet hätte.
    Als er draußen ein Auto hörte, schaute er zum Fenster hinaus. Es war der Austin Seven seiner Mutter. Er ging hinaus, um ihr die Koffer abzunehmen. Betty Hesketh verkaufte Kosmetika an der Haustür. Die Lippenstifte und Parfums waren in zwei rosaroten Musterkoffern untergebracht, so daß Betty sie ihren Kundinnen vorführen konnte. Caleb gab seiner Mutter einen Kuß auf die Wange und trug die Koffer in die Diele.
    Drinnen knöpfte Betty ihren Mantel auf, nahm ihren Hut ab und bauschte mit beiden Händen ihr blondes Haar. »Geh, setz das Teewasser auf, Schatz, ich bin kurz vor dem Verdursten. Glynis Prescott, diese dumme Ziege, überlegt sich’s ständig anders. Erst wollte sie Maiglöckchen haben, dann mußte es Narzisse sein, und jetzt ist es wieder Maiglöckchen. Und das Auto macht komische Geräusche. Es klappert, wenn ich um eine Ecke fahre.«
    »Ich schau’s mir an, Mama.«
    Caleb machte den Tee. Betty kramte in ihrer Tasche und schwenkte eine Papiertüte. »Spritzkuchen. Mrs. Watson hat sie mir mitgegeben. Sie sagte, die Gesichtscreme hat bei ihr wahre Wunder gewirkt. Komm, Schatz, iß du sie – mich machen sie nur dick. Und bei Ted Morris habe ich zwei schöne Lammkoteletts bekommen. Ohne Marken natürlich.« Betty warf ihrem Sohn einen Blick zu. »Du kannst ein bißchen Fleisch auf den Knochen gebrauchen.«
    »Mama –«
    »Bist ja nur Haut und Knochen. Ich brat sie dir beide – du weißt ja, daß ich mir nie viel aus Lamm gemacht habe. Zu fett.«
    »Mama –«
    »Leg sie in die Speisekammer, ins Fleischfach. Und die Kuchen in die Kuchendose.« Betty klappte eine Puderdose auf und betrachtete sich im Spiegel. »Heiliger Himmel, ich sehe ja fürchterlich aus.« Sie griff zu einem Lippenstift. »Ted holt mich um sieben ab.«
    »Ted?«
    »Der Metzger, Schatz, ich hab’s dir doch erzählt.« Betty schaute auf die Küchenuhr, stopfte Lippenstift und Puderdose wieder in ihre Tasche, trank den letzten Schluck Tee und warf ein paar Kartoffeln ins Spülbecken.
    »Vorhin war ein Mädchen hier«, sagte Caleb.
    Betty schälte emsig. »Ein Mädchen?«
    »Ja, hier im Haus.«
    »Du weißt doch, daß ich nichts dagegen habe, wenn du Freunde mitbringst. Nach zwei Jahren beim Militär steht dir ein

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