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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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bißchen Spaß zu.«
    »Ich kannte sie gar nicht«, sagte er, und als seine Mutter sich nach ihm umdrehte, fügte er hastig hinzu: »Ich meine, ich war zehn Minuten draußen, und als ich wieder reinkam, war sie im Haus. Unten an der Treppe.«
    »Vielleicht wollte sie zu mir. Um Lippenstift zu bestellen oder so was.«
    Er schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Sie war sehr aufgebracht. Sie sagte – alle möglichen verrückten Sachen.« Er schwieg. Die merkwürdige kleine Episode hatte etwas Irreales bekommen, als wäre sie nur seiner Phantasie entsprungen.
    Aber seine Mutter fragte neugierig: »Was denn für Sachen?«
    »Daß Middlemere gar nicht uns gehört.«
    »Das stimmt ja auch, Schatz. Das weißt du doch. Es gehört Mr. Daubeny.«
    »Ja, aber –« Er wünschte beinahe, er hätte nichts gesagt. Verrückte, die plötzlich aus dem Nichts auftauchten und wieder verschwanden, vergaß man am besten.
    Aber er konnte die Erinnerung an ihre Augen, goldbraun und voller Haß, nicht ganz abschütteln. »Sie hat behauptet, Middlemere wäre ihr Haus. Sie sagte, wir hätten es ihr weggenommen und ihren Vater umgebracht.« Er zuckte mit den Schultern. »Verrückt.«
    Betty sagte: »Weißt du ihren Namen?«
    Er sah seine Mutter erstaunt an. Natürlich erinnerte er sich an ihren Namen; er dröhnte in seinen Ohren, von ihrem Begleiter gerufen. »Romy«, sagte er. »Sie hieß Romy.«
    »Ah«, sagte Betty leise.
    »Mama? Was ist?«
    »Nichts, Schatz.« Die Kartoffeln platschten in den Topf, daß das Wasser aufspritzte. »Salzkartoffeln oder Püree?«
    Nach dem Essen radelte Caleb ins Dorf. Das einzige Pub von Swanton St. Michael, ein windschiefes, altes Haus, war der bevorzugte Treffpunkt knorriger alter Bauern und Landarbeiter und gelangweilter Jugendlicher aus dem Dorf. Die Bauern beachteten ihn nicht, die Jugendlichen musterten ihn argwöhnisch, und die Frau hinter dem Tresen war doppelt so alt und doppelt so breit wie er. Er mußte an Pamela denken mit den saphirblauen Augen und dem Halbmondlächeln.
    Nach einer Weile wurde es öde, allein zu trinken, und er radelte nach Middlemere zurück. Ein buttergelber Mond trat hinter den Wolken hervor, als er das Haus erreichte. Caleb fiel ein, daß Mr. Fryer, der Gärtner der Daubenys, ihm geraten hatte, bei zunehmendem Mond zu pflanzen, er rechte daher die Erde, die er am Morgen umgegraben hatte, zog mit der Hacke Linien und streute Samen in die Mulden. Der Mond warf eine kalte Stille über die Hügel, die Middlemere umgaben. Er hätte der einzige lebende Mensch auf der ganzen Welt sein können.
    Er löschte gerade das Feuer im Herd für die Nacht, als seine Mutter nach Hause kam. »Sie hat früher hier gelebt«, sagte sie und trat in die Küche.
    Er sah auf. »Wer?«
    »Dieses Mädchen. Romy Cole. Ich war mir nicht sicher – aber ich hatte so was von Kindern in Erinnerung. Ich habe Ted gefragt.«
    »Sie hat hier gelebt? In Middlemere?«
    »Vor uns. Die Coles haben vor uns in dem Haus gelebt.«
    »Aber sie – die Coles – sind weggezogen?«
    Betty zündete sich eine Zigarette an. »Sie mußten.«
    »Warum?«
    »Es war Krieg. Die Coles mußten das Haus räumen, weil sie den Hof nicht ordentlich bewirtschaftet haben.« Betty stieß eine Rauchwolke aus. »Er war anscheinend nicht ganz richtig im Kopf. Mr. Cole, meine ich. Er hat sich erschossen.«
    Caleb starrte sie an. »Er hat sich erschossen ?«
    »Ich wollte nicht, daß du es erfährst. Als du noch klein warst, mein ich. Ich dachte, es würde dir angst machen. Kleine Kinder haben doch immer Angst vor Gespenstern.«
    »Er hat sich hier erschossen? In unserem Haus?«
    Betty nickte. Dann sagte sie kurz: »Es ist lange her, Schatz. Elf Jahre. So was vergißt man am besten.«
    Romy kam erst spät nach Hause. Das Haus war dunkel bis auf das Wohnzimmer, wo ihre Mutter mit einem Glas in der Hand auf dem Sofa saß und rauchte. Das trübe Licht beschattete die angeschwollene, bläulich verfärbte Stelle in ihrem Gesicht.
    Sie sagte: »Wieso kommst du so spät? Dein Essen ist völlig verkocht.«
    »Ich bin nicht hungrig.« Romy setzte sich neben ihre Mutter. »Mam?« Zaghaft berührte sie den Arm ihrer Mutter. »Alles in Ordnung?«
    »’türlich.« Martha rückte von ihr ab.
    »Dein Gesicht –«
    »Ich hab gesagt, es ist alles in Ordnung.«
    Marthas Strategie, mit den Schwierigkeiten des Lebens fertig zu werden, bestand darin, sie einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Als würden Erschütterungen, Schläge und Beleidigungen

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