Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
sich in nichts auflösen, wenn man sie nur nicht in Worte faßte. Romy, die die Zerbrechlichkeit hinter der tapferen Fassade ihrer Mutter spürte, hatte gelernt, bei der Täuschung mitzuspielen.
    Sie wechselte das Thema. »Sind die Kleinen im Bett?«
    Martha nickte. »Gott sei Dank. Wo bist du so lang gewesen? Es ist fast zehn.«
    »In Middlemere«, antwortete Romy niedergeschlagen. »Ich war in Middlemere.«
    Martha sah sie erstaunt an. »Was hattest du denn dort zu suchen?«
    »Ich wollte es einfach wiedersehen.«
    »Schön dumm.«
    Romy dachte an die Photographien und die Briefe auf dem Tisch in der Diele und an den Fremden, der hereingekommen war. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn angeschrien hatte, und verspürte zum erstenmal einen Hauch von Verlegenheit. Sie sagte: »Da wohnen jetzt andere Leute.«
    »Das war doch klar. Es ist ein schönes Haus. Die werden sich doch die Pacht nicht entgehen lassen.«
    »Die Leute heißen Hesketh. Auf dem Schild stand Mrs. E. Hesketh.«
    Im ersten Moment schien Martha das nicht weiter zu interessieren, aber dann lächelte sie bitter und sagte: »Betty Hesketh. Du lieber Gott, Betty Hesketh.«
    »Kennst du sie?«
    »Sagen wir mal, ich weiß über sie Bescheid.« Martha zog an ihrer Zigarette. »So, so. Betty Hesketh.« Ihr Ton war geringschätzig. »Kein Wunder, sie war immer schon ein Flittchen.«
    »Was meinst du damit?«
    Martha lachte. »Was glaubst du wohl, was ich damit meine? Sie hat für ein Dach überm Kopf ihren Schlüpfer ausgezogen. Sie hat so was bestimmt nicht das erste und auch nicht das letzte Mal getan.« Ihr Blick flog zu Romy. »Jetzt mach nicht so ein Gesicht. So ist nun mal das Leben. Wenn sie es nicht gewesen wäre, wär’s jemand anders gewesen.« Martha schwieg einen Moment, dann sagte sie leise: »Dein Vater war ein Narr. Es war seine eigene Schuld. Er wollte nicht einsehen, daß er geschlagen war.«
    Ein grauer Aschewurm fiel von ihrer Zigarette hinunter auf den Teppich. Unsicher ging sie auf die Knie und versuchte, die Asche mit einem Geschirrtuch wegzutupfen. Dann sah sie argwöhnisch zu Romy hinauf. »Warst du mit diesem Pike zusammen?«
    »Wir sind nur ein bißchen rumgefahren.« Sie wechselte schnell das Thema. »Wo ist Jem?«
    Marthas Gesicht bekam einen Ausdruck der Hoffnungslosigkeit. »Ich weiß es nicht«, sagte sie resigniert. »Ich glaube, der dumme Kerl ist wieder einmal durchgebrannt.« Mit dem Geschirrtuch in der Hand machte sie eine müde Geste. »Er kam nach Hause, als Dennis und ich im Pub waren. Carol sagte, er hätte ein paar Sachen mitgenommen – Kleider und so.« Sie versuchte, ein beruhigendes Lächeln zustande zu bringen. »Er kommt wieder, keine Sorge, Liebes. Unkraut vergeht nicht.«
    Romy ging nach oben. Carol schlief, ein Buckel unter dem Bettzeug. Betty Hesketh war immer schon ein Flittchen … hat für ein Dach überm Kopf ihren Schlüpfer ausgezogen . Was das heißen sollte, war nicht schwer zu erraten. Betty Hesketh – Mrs. E. Hesketh – war mit irgendeinem Mann ins Bett gestiegen, um Middlemere zu bekommen. Um Romy ihr Zuhause wegzunehmen.
    Leise streifte Romy Schuhe und Mantel ab und legte sich auf ihr Bett. Als sie die Augen schloß, sah sie wieder Middlemere, in die Talmulde eingebettet wie eine Perle in die Hand eines Riesen. Sie hatte nicht vorausgeahnt, was für Gefühle das Wiedersehen mit dem Haus zurückbringen würde. Es war, als wären sie im Haus selbst eingeschlossen gewesen; als wäre trotz aller Veränderungen, die die Jahre gebracht hatten, der ganze alte Schmerz über den Verlust seinen Mauern entströmt.
    Sie versuchte, an etwas anderes zu denken. Beim Abschied hatte Liam sie zu einem Fest bei sich zu Hause eingeladen, das am kommenden Freitag steigen sollte. Sie fragte sich, was sie zu einer eleganten Fete bei der Familie Pike anziehen sollte. Sie hatte nur praktische Sachen, selbstgestrickte Pullover und strapazierfähige Röcke, die für das Büro geeignet waren. Sie versuchte, sich vorzustellen, sie trüge ein Tailleur und Pelze wie Mrs. Plummer. Mirabel Plummer. Romy kramte die Visitenkarte aus ihrer Tasche und strich in der Dunkelheit mit dem Daumen über die erhabene Schrift. Wenn Sie das nächste Mal in London sind, dann besuchen Sie mich … Romy war erst einmal in London gewesen, auf einem Schulausflug ins Britische Museum. Sie hatte nie in einem Hotel gewohnt, war nie in einem Nachtlokal gewesen. Sie hatte natürlich im Kino Nachtlokale gesehen, gedämpft erleuchtete Räume, wo

Weitere Kostenlose Bücher