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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Frauen in beneidenswert eleganten Abendkleidern mit ebenso elegant gekleideten Männern tanzten, tranken und geistreiche Gespräche führten.
    Sie mußte eingeschlafen sein, ein Hagel kleiner Steinchen an der Fensterscheibe weckte sie plötzlich. Sie machte das Fenster auf, beugte sich hinaus und sah Jem unten im Garten stehen.
    »Jem! Wo kommst du jetzt her?«
    »Ich hab dir was mitgebracht.« Er hielt ein großes rosa Plüschkaninchen hoch.
    »Woher hast du das?«
    »Ein Mann hat die Dinger unten im Pub verkauft. Mam hab ich Zigaretten mitgebracht.«
    »Kommst du rein?«
    Jem schüttelte den Kopf. »Da macht mich höchstens der alte Mistkerl wieder fertig.«
    »Dann bleib, wo du bist«, rief sie gedämpft. »Ich komm runter.«
    Romy schlüpfte wieder in ihren Mantel und schlich nach unten. Als sie die Hintertür der Küche öffnete, zischte Jem: »Bring was zu essen mit, Romy, ich hab einen Riesenkohldampf.« Sie nahm eine Packung Kekse und zwei Äpfel aus dem Küchenschrank.
    Gemeinsam gingen sie durch den Garten zur Straße, die zur Gemeindekirche führte. Dort, auf dem Friedhof, setzten sie sich zu Füßen des großen, von Flechten überwachsenen Grabsteins, der Maria Cartwright gehörte, der alten Jungfer der Gemeinde. Das Mondlicht umriß Jems Profil: die dunkelbraunen Augen, deren Ausdruck so schnell von Heiterkeit zu Verzweiflung wechseln konnte, die leicht aufgeworfene Nase und den vollen Mund. Jem war jetzt siebzehn, eine Erscheinung, in der sich das Wilde und das Engelhafte auf fesselnde Weise mischten. Jedes Mädchen in Stratton war in Jem Cole verliebt, aber für Romy war er immer noch der kleine Junge, den sie auf dem Schulweg an der Hand geführt hatte.
    »Wo bist du gewesen?« fragte sie noch einmal.
    Er antwortete mit einer unbestimmten Handbewegung. »Hier und dort.« Das lockige dunkle Haar hing ihm wirr um den Kopf, und auf der einen Gesichtshälfte hatte er mehrere Blutergüsse. Seine Kleider – zu dünn für einen kalten Frühlingsabend – waren zerdrückt. »Ich hab letzte Nacht in Scutchers Scheune geschlafen«, sagte er. »Mir macht das nichts aus. Im Heu ist es warm und gemütlich. Und keiner nörgelt an einem rum.«
    »Aber du kommst doch wieder nach Hause?«
    Jem schüttelte den Kopf. »Ich hab die Nase voll. Ich halt das nicht mehr aus. Der Kerl haßt mich ja wie die Pest.«
    Sie war tief erschrocken. »Aber Jem – wo willst du denn dann hin?«
    Jem aß den letzten Keks und lächelte zuversichtlich. »Ich such mir was eigenes, Romy. Und wenn ich’s geschafft hab, kannst du bei mir wohnen. Sandra geht nach London. Sie hat gesagt, da kriegt man für zwei Pfund die Woche ein Zimmer mit Bett und einer Gasplatte.«
    »Was ist mit deiner Arbeit?« Jem arbeitete in einem Sägewerk in der Nähe von Stockbridge.
    »Der blöde Kerl hat mich rausgeschmissen.«
    »Jem!«
    »Es war nicht meine Schuld, Romy. Der Vorarbeiter hat dauernd auf mir rumgehackt. Das konnte ich mir doch nicht einfach so gefallen lassen, oder?«
    Jem riß kleine Grasbüschel aus dem Grabhügel, unter dem Maria Cartwright lag.
    »Ich kann überhaupt nichts dafür.«
    Er konnte nie etwas dafür. Nachdem Jem in der Schule ständig Ärger gehabt hatte, hatte Romy bei seinem Abgang mit fünfzehn gehofft, daß er sich eine Arbeit suchen und dabei bleiben würden. Es gab so viele Jungs, die die Schule haßten, hatte sie sich gesagt; Jem las nicht gern, und mit dem Schreiben haperte es auch bei ihm. Er würde sich bei einer praktischen Arbeit, wo er mit beiden Händen zupacken konnte, viel wohler fühlen.
    Doch inzwischen konnte sie gar nicht mehr zählen, wie oft er die Arbeitsstelle gewechselt hatte, seit er von der Schule abgegangen war. Jede neue Arbeit nahm er mit großem Optimismus und tausend guten Vorsätzen in Angriff; aber nach ein paar Wochen ging immer irgend etwas schief. Und nie konnte Jem etwas dafür. Der Bus hatte dauernd Verspätung, darum konnte er sich nicht an die Arbeitszeiten halten. Seine Arbeitskollegen verbündeten sich gegen ihn. Der Vorarbeiter halste ihm immer die unangenehmsten Arbeiten auf.
    »Sei nicht böse, Romy«, sagte Jem und drückte ihre Hand. »Bitte, sei nicht böse. Ich wollte es doch nicht. Es ist einfach passiert.«
    Sein flehender Blick war die reine Unschuld, und wie immer verflog ihr Ärger. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und sagte: »Du errätst nie, was ich heute getan habe. Ich bin nach Hause gefahren. Nach Middlemere.« Sie lächelte. »Weißt du noch, wenn wir immer

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