Das Erbe des Vaters
Nachname bedeutet? Kohlschwarz und finster. In ihrem Fall reichlich unpassend. Meiner bedeutet Thors Kessel.«
»Das ist ja interessant«, sagte sie höflich.
»Ja, nicht wahr?« Er war um die Fünfzig und hatte ein rundes, glänzendes Gesicht mit hoher, gewölbter Stirn und deutlich zurückweichendem Ansatz des braunen Haars. Er sah sie mit seinen kleinen, wachen Augen an und sagte: »Ich dachte immer, wer den Namen eines Gottes trägt, müßte vom Schicksal auserwählt sein, aber bis jetzt habe ich nichts davon gemerkt.«
Sie lächelte. »Was machen Sie beruflich?«
»Ich habe einen Stand auf dem Bermondsey-Markt. Ich verkaufe Antiquitäten und Bücher.«
Der Mann auf Romys anderer Seite lachte mit gutmütigem Spott. »Du verkaufst Bücher? Die besten behältst du doch alle für dich, Nick.«
»Darf ich Sie mit Neville Murray bekanntmachen, Miss Cole? Wir haben vor vielen Jahren einmal in einer Wohngemeinschaft gehaust. Auf die Dauer ging das natürlich nicht – Nev und Nick –, das klang wie eine Clownsnummer am Londoner Palladium.«
»Ich habe so was sogar mal gemacht«, bekannte Neville finster. »Nach der Schauspielschule. War aber ein Reinfall.«
Neville war ein recht gutaussehender Mann mit graugesprenkeltem Haar und einer Patriziernase.
»Neville ist Schauspieler«, bemerkte Nicholas. »Vielleicht haben Sie ihn im Fernsehen gesehen. Er hat bei Emergency Ward 10 mitgespielt.«
»Ich habe mir bei einem Autounfall einen schweren Beinbruch zugezogen«, erklärte Neville, »und bin dann unter tragischen Umständen an Komplikationen verendet.«
»Wie schrecklich!« sagte Romy.
»Schauen Sie sich Emergency Ward 10 überhaupt an?«
»Ich habe leider nicht die Zeit. Aber meine Mutter schaut regelmäßig.«
»Miss Cole leitet ein Hotel«, sagte Nicholas. »Das hat Patrick mir erzählt«, fügte er erklärend hinzu. »Ich wappne mich für so gesellige Abende wie diesen hier immer gern mit möglichst umfassenden Informationen. Man fühlt sich dann sicherer.«
Romy blickte die Tafel hinunter zu Patrick, der zwischen seiner Mutter und der dunkelhaarigen Christine saß.
»Sie sind zum erstenmal in Whitewaters, nicht wahr?« sagte Neville. »Wie finden Sie es?«
»Es ist sehr – sehr ungewöhnlich.«
»Ich hasse dieses Haus. Es ist so groß und leer, man fühlt sich völlig exponiert. Zimmer wie Kathedralen und nirgends ein Plätzchen, wo man sich mal verkriechen kann. Und das braucht man doch, finden Sie nicht auch? Mich erinnert es immer an eine riesige moderne Bühne«, erklärte Neville und tupfte sich den Mund mit der Serviette. »Aber genau so will es Bunny natürlich. Sie will ihre ganz eigene Inszenierung zu ihrer persönlichen Unterhaltung.« Er sah Romy an. »Sie sind also Patricks Neueste, hm?«
»Neville, sei doch nicht so wahnsinnig unhöflich«, brummte Nicholas.
»Ihre unmittelbaren Vorgängerinnen, Miss Cole«, fuhr Neville unbeirrt fort, »waren eine Krankenschwester und eine Stewardeß.« Er lächelte boshaft. »Sie hätten Bunny hören sollen, wenn sie sich über die Stewardeß ausließ. Als ›bessere Kellnerin‹ titulierte sie das arme Ding. Für mich war es ein flüchtiger und letztlich zum Scheitern verurteilter Versuch, sich von Mutters Rockzipfel loszureißen.«
»Jetzt halt endlich die Klappe, Neville«, sagte Nicholas gleichmütig. »Du verdirbst Miss Cole die Laune. Er hat ziemlich viel getrunken«, fügte er zu Romy gewandt hinzu. »Da wird er immer redselig. Kennen Sie jemanden von den Leuten hier?«
»Nur Patrick«, sagte sie.
Er nannte ihr die Namen der Gäste und gab von jedem eine kurze Charakterisierung. »Das ist Leon Bradbury, er ist Photograph, erzählt überall, er käme aus Peckham und wäre bei der Handelsmarine gewesen, aber ich glaube, ich erinnere mich aus Winchester an ihn. Und das ist Barbary Tully, eine wirklich nette Frau, die mir samstags manchmal hilft, aber sie ist mit einem absoluten Schwein verheiratet, und da sie beide katholisch sind, kommt sie aus der Ehe auch nicht raus, die Arme. Und Peter McNeish, der Mann neben ihr, war ein Freund von Patricks Vater. Ein netter Mensch, aber unglaublich langweilig. Und Marian – in dem weißen Kleid mit den Pailletten –«
»Sieht aus wie eine Braut«, warf Neville grinsend ein. »Die gibt eben die Hoffnung nicht auf, unsere gute, alte Marian.«
»Marian war früher mal mit Patrick zusammen«, erklärte Nicholas. »Es ist Jahre her. Alle glaubten schon, die beiden würden sich demnächst verloben.
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