Das Erbe des Vaters
hinuntersehen und beobachten, wie im Laufe der Wochen ihr Garten langsam Gestalt annahm: Auf die Räumungsarbeiten folgten die Vermessung von Weg und Terrasse, dann die Erdarbeiten, die Gestaltung, die Neuanlage. Einmal in der Woche pflegte sie am Ende des Tages, wenn Caleb und Reggie, sein Gehilfe, ihre Sachen zusammenpackten, in ihren hohen Absätzen durch Matsch und Morast zu steigen, um sich über den Fortschritt der Arbeiten und eventuelle Probleme unterrichten zu lassen. Anfangs waren diese Besprechungen kurz und sachlich, mit der Zeit jedoch und beinahe ohne daß sie es merkte, begannen ihre Gespräche vom eigentlichen Thema abzuschweifen und sich auszuweiten.
Sie machte eine Gewohnheit daraus, Caleb und Reggie am Freitagnachmittag, bevor sie gingen, zu einem Bier einzuladen. Reggie pflegte sich verlegen abseits zu stellen, den Mund leicht geöffnet wegen seiner Polypen. Romy und Caleb unterhielten sich – über die Unzuverlässigkeit der Handwerker oder über schwierige Gäste im Hotel. Manchmal machte sie im Gespräch mit ihm ihrem Ärger Luft, vertraute ihm Dinge an, die sie mit keinem anderen besprechen konnte. Es waren keine wichtigen Dinge, nichts Intimes; dazu würden sie sich nie wieder nahe genug kommen. Es waren Kleinigkeiten, zu trivial, um andere damit zu behelligen. Sie bekannte ihm ihre Fehler und ihre Ängste. Vor Caleb ließ sie die Maske fallen, die sie allen anderen im Hotel zeigte. Ihm brauchte sie nichts vorzumachen. Er kannte sie; von ihrer besten und ihrer schlechtesten Seite.
Oft sah sie, wenn sie sich verabschiedete, erstaunt, daß eine ganz Stunde vergangen war. »Ich habe einen scheußlichen Tag hinter mir«, sagte sie an einem kalten Februarabend, als sie auf der Terrasse standen und in die Schlammwüste hinausblickten, die einmal der Hotelgarten werden sollte. »Einer der Gäste hat gestern abend zwei Prostituierte eingeschmuggelt. Das Zimmermädchen ging zu ihm hinein, weil sie das Zimmer saubermachen wollte – er hatte vergessen, das Bitte-nicht-stören-Schild hinauszuhängen –, und überraschte ihn mit den beiden Frauen im Bett.«
Calebs Mundwinkel zuckten. Reggie wurde rot.
»Sie hatten beide Babydoll-Nachthemden an«, erklärte Romy aufgebracht. »Aus schwarzem Nylon! Also, wirklich!«
»Du meine Güte.« Caleb öffnete eine Bierflasche. »Was hast du getan?«
»Ich habe mich unter vier Augen mit dem Gast unterhalten. Ich glaube, ihm war die Sache noch peinlicher als mir. Aber ich kann solche Geschichten nicht dulden. Das schadet dem Ruf des Hotels.«
»Das stimmt. Ein bißchen sehr flott für das gute alte Trelawney.«
»Das ist auch noch so eine Sache.«
»Was meinst du?«
»Das ganze Haus muß dringend modernisiert werden. Ich weiß nicht, ob ich das bezahlen kann.« Sie sah die Ungläubigkeit in seinem Blick. »Was denkst du denn, Caleb?« fragte sie. »Daß ich aussehe wie eine vermögende Frau? Als hätte ich es nie so gut gehabt?«
»So ungefähr, ja.« Er richtete die dunklen Augen auf sie. »Johnnie Fitzgerald muß ganz schön – wütend gewesen sein, als er hörte, daß du das Hotel geerbt hast.«
»Er hat geschäumt.«
»Und was macht er jetzt?«
»Er ist mit Mrs. O’Neill nach Amerika gegangen. Vorher hat er noch das Marrakesh verkauft. Ich bin froh, daß er weg ist. Und du hast natürlich recht, ich kann mein Glück immer noch nicht fassen. Aber das Hotel erfordert eine Menge Arbeit – die Heizung und die Heißwasserversorgung sind unzuverlässig, um es mal milde auszudrücken, und viele der Zimmer haben kein Bad. In der Küche haben wir Mäuse, und sämtliche Zimmer müssen renoviert werden. Neulich sagte jemand vom Trelawney, es besäße einen ›verblichenen Glanz‹.« Sie wiederholte es entrüstet: » Verblichener Glanz ! Das heißt doch nichts anderes als altmodisch und überholt. Und das Schlimmste daran ist, daß es stimmt. Unsere Stammgäste – die alten Damen, die zur Blumenausstellung kommen, und die alten Herren, die nach London reisen, um mit ihren Börsenmaklern zu reden – sterben uns weg wie die Fliegen. Wir sind bald in den Sechzigern, und ich weiß nicht, ob es das Trelawney überhaupt schon in die Fünfziger geschafft hat. Schon aus dem Grund möchte ich die Brasserie haben. Das ist wenigstens ein Hauch von Modernität.«
Sie begann, sich auf die Freitage zu freuen. Weil sie das Tor zum Wochenende waren, wollte sie sich einreden. Weil sich freitags, auch wenn am Wochenende noch soviel zu tun war, unweigerlich dieses
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