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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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fing die Tropfen aus einer undichten Manschette eines der Rohre auf. Hinter klapprigen alten Schränken wartete modrige Tapete und hinter dieser feuchter Mörtel und weiß der Himmel was für Greuel wiederum darunter. Der Boden bestand aus einem schlampig aufgetragenen Zementestrich, Linoleum und Spannteppich. Ihn aufzuhacken kam einer archäologischen Grabung gleich, die Schicht um Schicht bloßlegte: Wenn man zu tief ging, stieß man womöglich auf Troja.
    Eines Sonntags lud Alison ihn zum Mittagessen ein. »Hier drinnen kannst du nicht kochen«, stellte sie mit einem Blick in das Katastrophengebiet der Küche fest. »Da würdest du dir nur irgendwas Schlimmes holen. Die Weil-Krankheit oder so was.«
    Als er in ihre Wohnung hinaufkam, prüfte sie gerade den Inhalt eines Schmortopfes, wobei sie sorgfältig darauf achtete, daß ihre langen rotbraunen Haare nicht in die Gasflamme gerieten. »Es ist gleich fertig«, meldete sie. »Könntest du vielleicht den Tisch decken, Caleb?«
    Alisons Wohnung war mit den farbenprächtigen Gemälden ihrer kleinen Schützlinge dekoriert. Es gab ein Sofa mit einer bunten Decke und Patchworkkissen, und auf dem Tisch lagen Schere, Malkreiden und ein Stapel durchsichtiges Papier.
    »Leg es einfach irgendwo hin«, rief sie. »Das ist für die Schule. Wir basteln chinesische Laternen.«
    Sie aßen Gemüseauflauf mit Hackfleisch und tranken den Zider, den Caleb mitgebracht hatte. Alison erzählte ihm von ihrer Familie in Lincolnshire: von ihrem Vater, der anglikanischer Geistlicher war, ihrer Mutter und ihren jüngeren Geschwistern. Caleb stellte sie sich vor, friedlich und sanft, alle groß und kräftig, sommersprossig und mit rotem Haar wie Alison.
    »Warum bist du nach London gegangen?« fragte er.
    Einen Moment lang machte sie ein Gesicht, als könnte sie sich nicht recht erinnern. »Ich wollte wahrscheinlich etwas erleben.«
    »Und? Hast du was erlebt?«
    »Ich denke schon. Wenn ich brav zu Hause geblieben wäre, hätte ich sicherlich nie unterrichten können. Ich habe die ganze Schreibarbeit für die Gemeinde gemacht und meiner Mutter geholfen, vor allem mit meinen kleineren Geschwistern. Meine jüngste Schwester ist erst fünf, weißt du. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, daß das ewig so weitergehen und ich es niemals schaffen würde, da rauszukommen. Und irgendwann würde mir dann jemand einen Heiratsantrag machen, und das wär’s dann gewesen.«
    »Wäre das denn so fürchterlich? Zu heiraten, meine ich.«
    Sie sah ihn an. »Das käme darauf an, wen man heiratet, meinst du nicht?«
    Er schenkte ihnen beiden nach. »Das klingt ja so, als wärst du der Meinung, daß es reiner Zufall ist, wen man heiratet.«
    »So ist es doch auch.« Sie legte Messer und Gabel aus der Hand. Ihm war schon lange aufgefallen, daß alle ihre Gesten ruhig und bedächtig waren, daß sie sich niemals aus der Ruhe bringen ließ. Sie sagte: »Mein Großvater ist gestorben, als meine Mutter zwanzig war. Meine Mutter wußte nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte – sie hatte keinerlei Ausbildung. Dann begegnete sie auf einer Gemeindeveranstaltung meinem Vater, und sechs Monate später haben sie geheiratet. Ich sage nicht«, fügte sie hastig hinzu, »daß meine Mutter meinen Vater nicht liebt; ich sage nur, daß das mit einer Wahl wenig zu tun hatte. Es klang alles eher – unausweichlich. Ich würde lieber allein bleiben, als nur zu heiraten, weil mir nichts Besseres einfällt. Vorschullehrerin zu werden war wenigstens meine freie Entscheidung.«
    Als sie fertig gegessen hatte, deckte Alison ab und stellte das Geschirr ins Becken. Den Rücken zu Caleb gedreht, begann sie mit dem Abwasch. Plötzlich sagte sie zögernd: »Unsere Schulleiterin hat alle Lehrer zu sich nach Hause eingeladen. Es ist nur eine kleine Party mit Käse und Wein. Sie veranstaltet so was jedes Jahr. Ich soll jemanden mitbringen. Ich dachte mir, wenn du nichts Besseres vorhast …«
    »Gern.« Er nahm ein Geschirrtuch zur Hand.
    »Es wird wahrscheinlich ziemlich steif werden. Mrs. Metcalf hält sehr auf Formen.«
    »Dann betrachte ich es einfach als Revanche für das Mittagessen.«
    Als er wieder in seine Wohnung kam, läutete das Telefon. Er nahm ab und war völlig überrascht, als er Romys Stimme hörte.
    Sie bat ihn, irgendwann in der kommenden Woche einmal im Trelawney vorbeizukommen. Nachdem er aufgelegt hatte, ging er in die Küche, und während er Mörtelbrocken und Staub zusammenfegte, dachte er an Romy, wie sie ihm

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