Das Erbe des Vaters
Gepäck aus dem Wagen und verabschiedete sich mit kalter Förmlichkeit von ihr. Romy ging in ihr Appartement hinauf. Die Erinnerung an den Streit hing ihr den ganzen Nachmittag nach. Sie wußte, daß sie zu empfindlich gewesen war. Ich sollte ihn einfach anrufen, dachte sie, mich entschuldigen und alles erklären.
Aber was wollte sie sagen? Wollte sie ihm erklären, warum es Jem am nötigen Selbstvertrauen fehlte, um sein eigenes Kind großzuziehen? Warum sie von zu Hause fortgegangen war? Wollte sie ihm sagen: Mein Stiefvater hat versucht, mich zu vergewaltigen, und mein Vater hat sich erschossen?
Sie sollte ihm eine Chance geben, sagte sie sich. Sie sollte ihm vertrauen. Wenn sie Patrick Jems Geschichte erzählte und ihm erklärte, wie sehr ihr Bruder sich bemühte, etwas aus sich zu machen, würde er ihr vielleicht Trost und Unterstützung anbieten.
Oder er würde sich schockiert und angewidert abwenden. Den Telefonhörer schon in der Hand, hielt Romy inne. Vielleicht würde Patrick unter dem Schmuck und den eleganten Kleidern die alte Romy erkennen, die sie immer noch zu verstecken suchte. Sie hörte wieder ihre eigene eisige Stimme: Ich dachte, weil du mich ins Bett kriegen willst . Und Patricks Stimme: Manchmal frage ich mich, ob ich dich heute auch nur einen Deut besser kenne, als am Tag unserer ersten Begegnung . Er hatte recht gehabt mit seinen Worten. Sie gab sich niemals ganz preis. Und natürlich hatte sie ihm nicht genau erklären können, warum es sie so sehr geärgert hatte, daß er Bunny von Danny erzählt hatte.
Sie war aggressiv geworden, weil sie sich bedroht gefühlt hatte. Die Romy Cole, die Patrick kannte, war eine schöne, kultivierte, erfolgreiche junge Frau. Aber sie war auch immer noch das junge Mädchen, das voller Angst vor dem Stiefvater in ihrem Bett kauerte; immer noch das Kind, das in einem Schrank versteckt saß und sich die Ohren zuhielt, um das Krachen des Gewehrs nicht zu hören.
Das Bild, das Patrick von ihr gezeichnet hatte – das einer kalten Person, die mit ihren Gefühlen geizte, deren Beziehungen von Berechnung und einem Mangel an Spontaneität gekennzeichnet waren –, hatte sie wütend gemacht. Es hatte sie deshalb so wütend gemacht, dachte sie mit einem inneren Schauder, weil sie sich eingestehen mußte, daß es ein Körnchen Wahrheit enthielt. Geheimnisse isolierten einen von den anderen; das wußte sie schon seit langem. Wie viele Menschen ließ sie an sich heran? Danny natürlich und Jem. Aber sonst keinen. Ihrer Mutter präsentierte sie sich stets als die heitere Zuversicht in Person. Und mit Carol verstand sie sich zwar mittlerweile ganz gut, aber Nähe hatte es zwischen ihnen nie gegeben. Von der Arbeit im Hotel in Anspruch genommen, hatte sie kaum Kontakt mit ihren alten Freunden. Jake hatte sie seit Neujahr nicht mehr gesehen. Psyche hatte sie zur Geburt ihrer Tochter Blumen in die Klinik geschickt, aber besucht hatte sie sie nicht.
Ihre Gedanken schweiften zurück zu der Silvesterfeier bei Jake und zu Caleb. An dem Abend hatte sie zu spüren gemeint, daß nach der Eiszeit zwischen ihnen ein leichtes Tauwetter eingesetzt hatte. »Ein gutes neues Jahr, Romy«, hatte er ihr zugerufen. Und gelächelt.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und nahm sich den Papierkram vor. In einer Hinsicht aber hatte sie recht, da war sie sicher. Sie hatte Bunny Napiers harten graugrünen Blick nicht infolge ihres eigenen Unbehagens fehlinterpretiert. Er war eine unmißverständliche Aufforderung gewesen, die Finger von ihrem Sohn zu lassen.
Im neuen Jahr hatten sich James und Elizabeth Harborne bei Caleb gemeldet und ihn mit der Neugestaltung ihres Gartens beauftragt. Caleb hatte Diana Coulthard angerufen, um ihr für die Vermittlung des Auftrags zu danken, und sie meinte, darauf müßten sie unbedingt zusammen ein Glas trinken. Wie kaum anders zu erwarten, landete er danach wieder in Dianas breitem Doppelbett, wo er, nur halb mit Dianas muskulösem Rücken und marmorweißen Schenkeln beschäftigt, im Geist schon Wege, Terrassen, Hecken und Rabatten zu entwerfen begann.
Tagsüber arbeitete er nun an den Entwürfen für den Garten der Harbornes, und abends begann er, die Küche in seiner Wohnung herauszureißen. Ein Glück, dachte er, als er sich den Trümmerhaufen ansah, daß er ein Optimist war. Mörtelstaub hing in allen Räumen, und durch die klaffenden Löcher rund um die Fenster und den Türrahmen pfiff eisige Luft herein. Eine strategisch plazierte Konservendose
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