Das Erbe des Vaters
»hat uns aus Middlemere rausgeschmissen, weil er das Haus seiner Geliebten geben wollte. Ihrer Mutter.«
Ihre Worte schienen in dem hohen Raum mit dem Marmorboden widerzuhallen. Der Schock in seinem Blick wich etwas anderem; unwillkürlich trat sie einen Schritt von ihm weg.
Seine Stimme war leise und wütend, als er sagte: »Wie können Sie es wagen, etwas Derartiges zu behaupten – wie kommen Sie dazu, zu unterstellen, meine Mutter und Daubeny –«
»Weil es wahr ist. Ich weiß, daß es wahr ist.« Und doch erfaßte sie eine Unsicherheit.
»Das ist ja absurd – und unverschämt –«
Schnell sagte sie: »Meine Mutter hat es mir gesagt.«
Er war bleich geworden. »Sie lügen –«
»Glauben Sie?« Sie kehrte ihm den Rücken und sagte im Davongehen in verächtlichem Ton: »Fragen Sie doch Ihre Mutter, wenn Sie mir nicht glauben.«
Sie hat gelogen. Ein ums andere Mal sagte sich Caleb diese drei Worte vor, als er aus dem Hotel ins nächste Pub stürmte und später mit der Untergrundbahn zum Paddington-Bahnhof fuhr, wo er noch einmal in einer Bar Station machte, ehe er in seinen Zug stieg. Sie hat gelogen.
Die Vorstellung, seine Mutter könnte ein Verhältnis mit Osborne Daubeny gehabt haben, widerte ihn an. Romy Cole war ein verlogenes kleines Biest. Kein Wunder, daß Daubeny diese Leute an die Luft gesetzt hatte, wenn man von der Tochter auf den Rest der Familie schließen konnte. Kein Wunder, daß Daubeny jeder Vorwand recht gewesen war, um sie loszuwerden, wenn der Vater die gleiche Neigung zu feindseligem und beleidigendem Verhalten gehabt hatte wie seine Tochter.
Der Bummelzug hielt in jedem Nest zwischen London und Hungerford. Als die Wirkung des Alkohols nachließ, begann auch Calebs Zorn sich zu legen, verrauchte in der heißen, abgestandenen Luft des Zugabteils und hinterließ nichts als Niedergeschlagenheit.
Er dachte an seine Mutter. Betty Hesketh war eine zierliche kleine Blondine voller Lebenslust und Vitalität. Mit ihr zusammenzuleben, war, wie mitten in einen Wirbelwind zu geraten. Als Hausfrau war sie voll des guten Willens, aber zu sprunghaft, um wirklich gründlich zu sein, was Caleb, dem es ein Greuel gewesen wäre, in staubfreier Sterilität zu leben, gerade recht war. Dafür drohte das Haus in all dem Schnickschnack, dem ihre Vorliebe galt – Photos, Teepuppen, Porzellantierchen –, zu ersticken.
Doch Betty Hesketh war, in scheinbarem Widerspruch zu soviel weiblicher Verspieltheit, eine ausgesprochen eigenständige und unabhängig denkende Person. Sie rauchte und trank und fuhr Auto und scheute sich nicht, aus vollem Hals über anzügliche Witze zu lachen. Seit dem Tod von Calebs Vater hatte sie immer als Bedienung oder Verkäuferin gearbeitet, um ihren Sohn und sich über Wasser zu halten, und seit kurzem hatte sie die Vertretung einer Kosmetikfirma übernommen, deren Artikel sie von Tür zu Tür verkaufte. Dank ihrer Tatkraft hatten sie sich nicht allein auf die magere Witwenrente verlassen müssen. Sie hatten sich zwar nichts Großartiges leisten können, aber sie hatten wenigstens nicht jeden Penny zweimal umdrehen müssen.
Betty war der Überzeugung, daß man sein Leben genießen und seinen Spaß haben sollte. Und Caleb und seine Mutter hatten viel Spaß gehabt. Natürlich hatten der Krieg und die Jahre der Knappheit, die ihm folgten, ihr Leben genauso geprägt wie das aller anderen, aber Caleb konnte auf eine glückliche Kindheit zurückblicken. Betty hatte sich nach dem Tod ihres Mannes nicht in das Dasein einer ewig trauernden Witwe zurückgezogen. Sie hatte weiterhin ihre farbenfrohen Kleider getragen, sie hatte sich geschminkt, die Fingernägel lackiert, die Haare onduliert. Im Sommer hatte sie jedes schöne Wochenende genutzt, um mit ihrem Sohn Ausflüge zu machen, aufs Land oder ans Meer. Und im Winter war sie mit ihm, selbst wenn nur drei Schneeflocken gefallen waren, auf einer Bratpfanne den Hügel hinuntergerodelt.
Caleb, ein Einzelkind, hatte seine Mutter leidenschaftlich geliebt, und die Liebe war auch nicht weniger geworden, als er älter geworden war, doch es hatte sich ihr ein gewisser innerer Vorbehalt zugesellt. Bei Schulveranstaltungen stürzte Betty ihren Sohn allein durch ihre Anwesenheit in ein Gefühlschaos aus Stolz und Verlegenheit. Er wollte natürlich wie alle Kinder seines Alters dazugehören, in der Clique akzeptiert werden. Aber Betty fiel immer aus dem Rahmen, lachte lauter als die anderen Mütter, trug frechere Hüte, schminkte sich
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