Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
auffallender. Und sie flirtete. Vertrocknete alte Mathelehrer blühten bei Betty Heskeths Erscheinen genauso auf wie frische junge Sportlehrer, zogen ihren Schlips zurecht und fuhren sich hastig noch einmal mit dem Kamm durchs schüttere graue Haar. Von den anderen Müttern flirtete keine, oder wenn doch, dann jedenfalls unauffälliger und diskreter.
    Als Schuljunge war für ihn klar gewesen, daß die Flirts seiner Mutter nicht mehr waren als ebendas: Flirts. Wie alle seine gleichaltrigen Freunde war er der Meinung, Sex sei nur etwas für junge Leute. Die Vorstellung, daß seine Mutter sich zu mehr als einem Flirt herbeilassen könnte, war abscheulich und absurd, man ließ sie am besten gar nicht aufkommen.
    Heute wußte er es natürlich besser. Mit fast einundzwanzig konnte er sich nicht mehr so leicht einreden, seine Mutter habe sich in mehr als zehn Jahren des Alleinseins auf kokette Blicke und ein verführerisches Lächeln beschränkt. Sie hatte immer Freunde gehabt. Im Lauf der Jahre waren alle möglichen Männer in Middlemere erschienen, um Betty Hesketh zum Kino abzuholen oder zu einem Drink im Pub einzuladen. Manche dieser Freunde hatten sich eine Woche gehalten, andere Jahre. Ihre Geschenke pflegten überall im Haus herumzustehen – die Parfums, die Pralinenschachteln, die Topfchrysanthemen. Die Palette von Bettys Verehrern umfaßte dünne und dicke, gutbetuchte und weniger gutbetuchte, Junggesellen und Witwer. Und verheiratete Männer. Betty Hesketh lebte nach ihren eigenen Regeln; was die Konvention vorschrieb, interessierte sie nicht.
    Diese Nichtachtung der Regeln hatte die Isolation noch gefördert, die schon durch die geographische Lage Middlemeres gegeben war. Die Heskeths hatten sich nie eingefügt; sie gehörten einfach nicht dazu. Sie waren von draußen gekommen und waren draußen geblieben. Wenn er früher, als kleiner Junge, manchmal mit seiner Mutter ins Dorf zum Einkaufen gegangen war, hatte Caleb die Mißbilligung in den Gesichtern der anderen Frauen gesehen und hier und da Bruchstücke ihrer gezischelten giftigen Bemerkungen aufgeschnappt. Damals hatte er nichts verstanden; jetzt verstand er.
    Da er ein Internat besucht hatte, hatte er im Dorf nie richtige Freunde gefunden; und in den Ferien hatte er sich mit Gartenarbeit für die Daubenys etwas dazuverdient, anstatt mit den einheimischen Jungen zu spielen. Hatte Daubeny ihm die Arbeit zukommen lassen, weil er eine Schwäche für seine Mutter hatte? Hatte Daubeny ihm die Stellung bei Broadbent verschafft, weil er einmal Betty Heskeths Liebhaber gewesen war?
    Romy Coles lichtbraune Augen hatten den gleichen scharfen Glanz gehabt wie die eines Raubvogels, der in der Luft kreisend seine Beute fixiert. Fragen Sie doch Ihre Mutter, wenn Sie mir nicht glauben , hatte sie gesagt. Fragen Sie doch Ihre Mutter .
    Betty war aus, als Caleb nach Hause kam. Unter dem Spülstein stand eine Flasche Gin, und er goß sich einen kräftigen Schluck ein.
    Er hatte ungefähr eine Stunde in der Küche gesessen, als er draußen ein Auto vorfahren hörte. Er sprang auf und ging zum Fenster, um zu sehen, mit wem sie kam, trat aber, angewidert von sich selbst, gleich wieder zurück.
    Dann wurde die Tür geöffnet, und seine Mutter rief: »Hallo, Schatz!« Sie gab ihm einen Kuß und hängte ihren Mantel auf. »Hast du einen schönen Tag gehabt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Das kann man nicht gerade behaupten.«
    Ihr Blick fiel auf die leere Ginflasche. »Aber das hilft auch nicht, Caleb. Das weißt du doch.«
    Er sagte: »Wie lange kennst du Mr. Daubeny schon, Mama?«
    Sie warf die Flasche in den Mülleimer. »Jahre«, antwortete sie. »Warum?«
    »Magst du ihn?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Darüber habe ich eigentlich nie nachgedacht. Das ist eine komische Frage.« Sie griff nach dem Wasserkessel. »Ich mach uns eine Tasse Tee. Das muntert dich vielleicht ein bißchen auf.«
    Er könnte es einfach auf sich beruhen lassen; könnte sich die Geschichte aus dem Kopf schlagen und vergessen, was das Mädchen gesagt hatte. Aber er wußte im selben Moment, daß Vergessen ausgeschlossen war. Romy Coles absurde Behauptung würde in ihm wirken wie Gift.
    Stockend sagte er: »Jemand hat behauptet …«
    »Was denn, Schatz?«
    »Es ist so lächerlich …«
    »Caleb!« Sie sah ihn beunruhigt an. »Wieviel hast du getrunken? Du solltest es nicht zu weit treiben.«
    »Jemand hat behauptet –« er zwang sich, ihr ins Gesicht zu blicken –, »daß Mr. Daubeny dein

Weitere Kostenlose Bücher