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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Habe ich dir das erzählt?«
    »Na, da können sie einander wenigstens Gesellschaft leisten.«
    »Ach, ihre Zimmer sind an den entgegengesetzten Enden des Hauses gelegen. Beine im einen Flügel, Ohren im anderen, verstehst du. Trotzdem hilft es sicher zu wissen, daß ein vertrautes Gesicht in der Nähe ist … Ach, und Billy Cannadine ist gestorben. Winifred wird ihn natürlich furchtbar vermissen, auch wenn die letzten Monate für beide eine Qual waren. Nimmst du noch Tee, Evelyn?«
    »Besser nicht. Ich muß bald los.«
    Venetia zog die magere Hand von der Teekanne zurück. »Dann will ich dich nicht aufhalten.«
    Evelyn bekam sofort ein schlechtes Gewissen, wie immer bei den Besuchen bei ihrer Mutter. »Kate kommt«, erklärte sie. »Sie will ein paar Tage bleiben.«
    »Kate …?« Venetia zog die Brauen zusammen. »Celias Tochter?«
    »Sie hat vor kurzem angerufen. Ich muß sie am Bahnhof abholen.«
    »Wie geht es dem armen Kind? Scheidungen sind etwas Scheußliches.« Venetias Blick, nun gar nicht mehr vage, ruhte auf Evelyn. »Es stand in der Zeitung. Henry Buckingham ist immerhin Parlamentsabgeordneter.«
    »Kate geht es gut«, sagte Evelyn, obwohl sie den Verdacht hatte, daß dem nicht so war. »Sie ist ja mittlerweile sechzehn Jahre alt, kein Kind mehr. Ich bin sicher, sie versteht die Situation.«
    »Glaubst du?« entgegnete Venetia kühl. »Das bezweifle ich. Und was lernt sie aus dem Verhalten ihrer Mutter? Sich selbst wichtiger zu nehmen als alle anderen. Als ihren Mann und ihre Kinder.«
    Evelyn fühlte sich genötigt, Celia zu verteidigen. »Celia war sehr unglücklich, Mutter. Die Entscheidung ist ihr nicht leichtgefallen.«
    »Unglücklich?« wiederholte Venetia. Sie zuckte mit den knochigen Schultern und sah ihre Tochter mit geringschätzigem Blick an. »Was hat denn das damit zu tun? Man erwartet nicht, glücklich zu werden. Oder man sollte es nicht erwarten. Niemand hat Celia gezwungen, zu heiraten und vier Kinder in die Welt zu setzen. Sie hat sich selbst dafür entschieden. Sie sollte dazu stehen und nicht bei der ersten kleinen Schwierigkeit ausbüxen.«
    Schweigen breitete sich zwischen den zwei Frauen aus. Dann sagte Venetia: »Und du siehst müde aus, Evelyn. Dieses viele Herumgerenne.«
    Evelyn fühlte sich mehr getadelt als bemitleidet. Venetia bestand darauf, die Rechnung zu übernehmen, und sie brachen auf. Der Himmel hatte sich bewölkt, und am Strand sammelten die Tagesausflügler Handtücher, Eimer und Schaufeln ein. Kinder rannten kreischend den Gehweg hinunter, und Familien, die zur Bahn oder zu den Bussen eilten, schoben mit kleinen Kindern und Taschen vollgestopfte Kinderwagen vor sich her. Umwogt von diesem Menschenstrom, schien Venetia unglaublich zart und gebrechlich zu sein, und Evelyn hatte Angst, jeden Moment könnte jemand mit ihr zusammenprallen und ihr mit einem einzigen Stoß sämtliche Knochen brechen.
    Venetias Haus, das direkt am Meer stand, war viel zu groß für eine Person. Es hatte für sie und ihren Gatten sein sollen, aber Evelyns Vater war wenige Wochen nach dem Einzug gestorben. Als sie ins Vestibül traten, sagte Venetia: »Fahr jetzt lieber, Evelyn. Damit du vor der Dunkelheit zu Hause bist.«
    »Kommst du zurecht, Mutter?«
    »Aber natürlich. Es war ein schöner Tag, nicht?«
    »Ja, es tut mir leid, daß ich in Eile bin. Komm, gib mir deinen Hut.« Evelyn zog die Nadeln heraus und legte den Hut ihrer Mutter sorgsam auf den massigen geschnitzten Schrank, der die Hälfte der Eingangshalle einnahm.
    Venetia sagte: »Wenn du mir nur mit den Schuhen helfen würdest, bevor du gehst … Ich komme nicht hinunter, weißt du. Diese gemeine Arthritis. Meistens mache ich sie nicht zu. Aber ich weiß, daß das unordentlich aussieht.«
    Evelyn war entsetzt. Sofort sah sie ihre Mutter über ein loses Schuhriemchen stolpern und in einem Bündel geblümten Crêpe de Chine die Treppe hinunterstürzen.
    »Das ist gefährlich, Mutter. Da kannst du leicht stürzen.«
    »Ich bin vorsichtig, Evelyn. Ich halte mich immer am Geländer fest.«
    »Kann nicht Mrs. Dawson …?«
    »Mrs. Dawson kann nur morgens kommen«, erklärte Venetia. »Ich brauche sie auch gar nicht. Ich komme sehr gut allein zurecht. Cynthia Page hat mir erzählt, daß es da extra so ein Ding zum Schuheknöpfen gibt. Es sieht ungefähr aus wie eine Häkelnadel und hat einen sehr langen Stiel. Es wird anscheinend immer wieder im Telegraph annonciert. Ich werde mir eines bestellen.« Venetia bot ihrer Tochter die

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