Das Erbe des Vaters
Fünf-Pfund-Schein in die Hand. »Kauf dir was Schönes.«
Der Schaffner schlug die Waggontür zu. Die Lokomotive schnaubte, und der Zug fuhr mit einem Ruck an. Kate beugte sich aus dem Fenster und winkte, und Evelyn, die sie schon enthauptet sah, rief ihr nach, sie solle sich ins Abteil setzen und nicht vergessen, ihre Brote zu essen und ihre Mutter und ihren Vater von ihr grüßen. Dann stampfte der Zug um eine Kurve und verschwand. Evelyn ließ die winkende Hand sinken und fühlte sich plötzlich verloren.
Hugo Longville sagte: »Ein hübsches Mädchen«, und Evelyn fuhr leicht zusammen.
»Meine Patentochter. Mr. Longville, wie nett, Sie zu sehen.« Sie bot ihm die Hand.
»Wie geht es Ihnen, Evelyn?«
»Gut, danke«, antwortete sie, obwohl ihre Stimme schwankte. »Gut, ja.«
»Sie brauchen ein Taschentuch und eine Tasse Tee«, sagte er. »Hier ist schon mal das erstere –« er reichte ihr ein Taschentusch –, »und wir können ins Bahnhofsrestaurant gehen, wenn Ihnen das nicht zu betriebsam ist.«
Bei soviel unerwarteter Güte kamen ihr die Tränen, und sie mußte sich in Hugo Longvilles blütenweißes Taschentuch schneuzen. Als sie wieder sprechen konnte, hatte er sie schon im Bahnhofscafé auf einen Stuhl gedrückt und holte am Büffet Tee und Brötchen.
Er stellte das Tablett auf den Tisch. »Ich habe Übung in so was. Ich mußte jahrelang Morwenna aufheitern, wenn die Mädchen nach den Ferien wieder ins Internat mußten.«
»Das ist wirklich lieb von Ihnen, Mr. Longville.«
»Sagen Sie doch Hugo. Wie alt ist Ihre Patentochter?«
»Kate ist sechzehn. Sie wird im Dezember siebzehn.« Sie dachte an die letzten Tage zurück, die unerwartet anstrengend gewesen waren. »Ich hoffe nur, sie war gern hier. Ich hatte so vieles geplant, aber sie hatte zu nichts Lust.«
»Tja, sechzehn ist ein schwieriges Alter. Da kann man es ihnen nicht recht machen. Mit Jenny gab es immer fürchterliche Auftritte. Tränenströme und Türenknallen.«
»Kate ist im Moment nicht sehr glücklich«, erklärte Evelyn. »Familienschwierigkeiten.«
»Das tut mir leid.«
»Ich hatte mich so lange auf ihren Besuch gefreut, und dann – anfangs hat sie kaum den Mund aufgemacht. Ich glaubte, sie wäre einfach muffig. Aber eines Abends kam dann alles heraus. Wie unglücklich sie ist. Sie hat mir so leid getan.« Evelyn sah Hugo Longville an. »Dabei möchte man doch, daß sie glücklich sind, nicht wahr?«
»Morwenna erklärt mir immer, daß es nur eine Phase ist, die vorbeigeht. Und sie hat im allgemeinen recht.«
»In diesem Alter verändern sie sich so schnell.«
»O ja. Delphine ist immer noch in ihr Pony vernarrt, Gott sei Dank, aber Jenny bildet sich ein, sie sei in irgendeinen Knaben verknallt.« Er lachte ein wenig wehmütig. »Sie ist erst neunzehn. Mir kommt’s vor, als hätte sie gestern noch mit Puppen gespielt.«
»Gefällt er Ihnen denn?«
»Er scheint ein ganz ordentlicher Junge zu sein. Wenn er Jenny gut behandelt, bin ich bereit, ihn zu akzeptieren. Wenn nicht –« die blauen Augen blitzten –, »dann bringe ich ihn um.«
Sie machte wohl ein erschrockenes Gesicht, denn er lachte und sagte: »Keine Angst, so weit wird es nicht kommen. Und wenn es bei Ihrer Patentochter zu Hause irgendwelche Umwälzungen gibt, dann ist sie wahrscheinlich deswegen ein bißchen trüber Stimmung. Unsere Töchter waren sehr durcheinander, als wir Clarewood aufgegeben haben.« Er schob ihr den Teller mit den Brötchen zu. »Greifen Sie zu, Evelyn. Es sollen Rosinenbrötchen sein, die Rosinen sind allerdings etwas dünn gesät.«
Sie nahm ein Brötchen und fragte: »Clarewood?«
»Unser altes Haus in Shropshire. Wir mußten es nach dem Krieg aufgeben. Die Steuern und so weiter, Sie wissen schon.«
»Ja, Osborne mußte im Krieg auch Grund verkaufen. Und vor ein paar Jahren noch einmal und einige Häuser dazu. Aber das war nicht wegen der Steuern«, erinnerte sie sich. »Er mußte eine Strafe bezahlen – er wollte die Stallungen reparieren und hatte keine Genehmigung.«
»Sie meinen keine Baugenehmigung?« sagte Hugo. »Ja, da haben sie mich auch einmal erwischt. Das Haus war drauf und dran, uns über dem Kopf einzustürzen, und ich kriegte weder das Material noch die Leute zusammen, um es zu reparieren.«
»Was haben Sie dann getan?«
»Ich habe es abreißen lassen.«
Sie starrte ihn fassungslos an.
»Das ganze Haus«, fügte er hinzu. »Mit allem Drum und Dran. Ich habe es bis auf den letzten Ziegelstein abreißen
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