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Das Erbe des Zauberers

Das Erbe des Zauberers

Titel: Das Erbe des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Tafel. Sie sah keine jungen Novizen, sondern alte und erfahrene Zauberer. Nach den Mänteln zu urteilen, nahmen sie sogar einen recht hohen Rang ein. Dann richtete sie die Aufmerksamkeit auf eine vertraute Gestalt, die wie eine ungelenke Marionette auf das Podium des Dozenten kletterte, ans Pult stieß und sich geistesabwesend entschuldigte. Kein Zweifel: Simon. Niemand sonst hatte Augen, die zwei rohen Eiern in warmem Wasser ähnelten – und eine rote Nase, die einem roten Kolben glich. Simon schien nicht nur gegen Pollen allergisch zu sein, sondern auch gegen den Rest der Welt.
    Wenn man einmal davon absah, sich den jungen Mann mit einem anständigen Haarschnitt und nach einigen Lektionen in ›Wie nehme ich richtig Haltung an?‹ vorstellte, wirkte er nicht häßlich. Esk runzelte unwillkürlich die Stirn, als ihr dieser eher ungewöhnliche Gedanke durch den Kopf ging. Sie verbannte ihn in ihre mentale Kartei, um sich später eingehender damit zu beschäftigen.
    Die Zauberer nahmen Platz, und kurz darauf begann Simon zu sprechen. Er las von einigen Blättern, und wenn er stotterte, halfen ihm die anwesenden Magier ganz automatisch und wie aus einem Mund mit dem entsprechenden Wort aus.
    Schon nach wenigen Sekunden machte sich ein Kreidestift selbständig, schwebte vom Pult und schrieb auf der Tafel. Inzwischen wußte Esk genug von Zaubermagie, um zu wissen, daß dies eine bemerkenswerte Leistung war: Simon hielt sich erst seit einigen Wochen in der Universität auf, und die meisten Schüler beherrschten Leichte Levitation erst nach dem zweiten Studienjahr.
    Der weiße Stummel glitt über schwarzen Schiefer, und ein verhaltenes Kratzen und Quietschen untermalte Simons Stimme. Selbst wenn man Zugeständnisse in Hinsicht auf sein Stottern machte: Als Redner taugte er nicht viel. Er ließ das eine oder andere Blatt fallen. Er berichtigte sich dauernd. Er machte immerzu ›Hm‹ und ›Äh‹. Und was Esk betraf, ergaben seine Ausführungen praktisch überhaupt keinen Sinn. Seltsame Formulierungen verirrten sich unter die Sitzbänke. Mit Ausdrücken wie ›der Stoff, aus dem das Universum besteht‹, konnte sie kaum etwas anfangen, es sei denn, damit meinte Simon Baumwolldrillich oder Flanell. Bei ›Mutabilität der Möglichkeitsmatrix‹ versagte ihr die Phantasie.
    Manchmal schien Simon zu behaupten, es existiere erst dann etwas, wenn Menschen betreffende Überlegungen anstellten. Die ganze Welt, so meinte er, sei nur deshalb real, weil sie auf den Vorstellungen irgendwelcher Leute basierte. An einer anderen Stelle des Vortrages erklärte er, es gebe gleich Hunderte von Welten, die alle sehr ähnlich seien. Sie lägen so dicht nebeneinander, führte Simon aus, daß sie nur eine Schattenbreite voneinander trennte. Auf diese Weise, so fügte er hinzu, habe irgendein denkbares Ereignis auch eine symbolische Bühne, auf der es stattfinden könne.
    (Das klang für Eskarinas Ohren gar nicht so absurd. Während sie die Waschräume der älteren Zauberer reinigte – besser gesagt: während der Zauberstab diese Arbeit übernahm, Esk die Urinbecken inspizierte und sich dabei vage an ihre Brüder erinnerte, die in der Badewanne vorm Kamin planschten –, entwickelte sie ihre inoffizielle Allgemeine Theorie komparativer Anatomie. Die Toiletten der thaumaturgischen Dozenten stellten einen magischen Ort dar: Es gab dort wahrhaft fließendes Wasser, bunte Kacheln und vor allen Dingen zwei große Silberspiegel an gegenüberliegenden Wänden. Wenn man in einen davon sah, konnte man sein multiples Spiegelbild erkennen, das immer kleiner wurde. Esk nahm dies als einen ersten Hinweis darauf, was Unendlichkeit bedeutete.
    Hinzu kam: Sie hatte den Verdacht, daß ihr eine der Spiegel-Eskarinas in der Ferne zuwinkte.)
    Einige der Bezeichnungen, die Simon verwendete, klangen irgendwie beunruhigend. Er meinte wiederholt, die Welt sei nicht viel wirklicher als eine Seifenblase oder ein Traum.
    Die Kreide quietschte weiterhin über die Tafel hinter ihm. Manchmal unterbrach Simon seinen Vortrag und erläuterte den aufmerksam lauschenden Zauberern einzelne Symbole. Esk beobachtete, wie die Magier immer aufgeregter wurden, und das fand sie seltsam, denn ihrer Meinung nach hörten sich die meisten Sätze dumm und albern an. Kurze Zeit später setzte der Kreidestummel seine unermüdliche Wanderung über den schwarzen Schiefer fort, wie ein Komet mit einem Schweif aus rieselndem Staub.
    Draußen floh das Tageslicht wieder einmal vor den Heerscharen

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