Das Erbe des Zitronenkraemers
Friedhofsgelände wie auch vor dem Tor die Schuhabdrücke wiederfinden können. Natürlich haben wir Gipsabdrücke anfertigen lassen. Dazu das Profil eines Mountainbikes. Ziemlich breite Räder. Der Kerl ist mit dem Fahrrad abgehauen.“
„Warum haben Ihre Leute ihn nicht verfolgt?“ Hannes war sprachlos.
„Nun“, Lenz schien peinlich berührt. „Ihre „Krabbelaktion“ aus dem Grab heraus hat als wundervolles Ablenkungsmanöver funktioniert. Unser Mann hat nur Fotos vom Grab geschossen. Dass sich der Verdächtige beim Verschwinden hinter der Friedhofsmauer überhaupt auf einem der Bilder präsentiert, ist ein glücklicher Zufall. Immerhin konnten wir so nach Ansicht der Fotos dahingehend ermitteln.“
Hannes ließ hörbar die Luft aus seinen Lungen. Verzweiflung machte sich in ihm breit. „Also brauchen wir nur noch einen Radfahrer mit bestimmen Schuhen zu finden, und der Spuk ist vorbei“, seufzte er ohne große Hoffnung. Eine Stecknadel im Heuhaufen ist wohl nichts dagegen, schließlich verläuft direkt bei Bekond eine der berühmtesten Wettkampfstrecken für Mountainbiker an der Mosel.
„Jetzt lassen Sie mal den Kopf nicht hängen“, gab Lenz hoffnungsfroh von sich. „Immerhin haben wir jetzt erste Hinweise auf den Täter.“
„Na gut“, stöhnte Hannes, „dann achte ich in Zukunft wohl auf bunt gekleidete Radfahrer, die von hinten an mir vorbeirauschen, um mir die Handtasche von der Schulter zu reißen.“
Kapitel 15
Anne bot alle ihre Kraft auf. Sie zerrte und zog an dem Strick, doch Micky bewegte sich keinen Millimeter. Ihr Kopf steckte zur Gänze in einem Eimer mit trockenen Brotresten.
Dieses Pferd kostete Anne noch den letzten Nerv. Die Stute der Rasse Irish Tinker war drei Jahre jung, 600 Kilogramm schwer und ihr Dickkopf wenigstens ebenso sehr. Aber Anne liebte Micky absolut. Sie hatte sie einfach kaufen müssen, als sie hörte, dass sie ansonsten zum Metzger verfrachtet würde. Micky konnte auch lieb und zärtlich sein, unendlich verschmust, aber eben auch bockig und stur. Vor allem, wenn es um irgendetwas Fressbares ging. Sie sog alles auf wie ein Staubsauger und führte sich ständig auf, als wäre sie akut vom Hungertod bedroht.
Nicht, dass Anne noch ein zweites Pferd gebraucht hätte, schließlich verschenkte sie auch weiterhin ihre Liebe und Zeit an Pam, ihr erstes Pferd. Aber nun war es eben so. Nun war sie eben stolze Besitzerin von zwei Pferden. Nur, mit Mickys Erziehung war Anne heillos überfordert.
Endlich war Hilfe in Aussicht. Micky lief mittlerweile mit dem Eimer auf dem Kopf blind im Hof umher, während Anne hilflos hintendran am Strick hing.
Robin, der hinzugekommen war, zog Micky mit einem Ruck den Eimer vom Kopf, zerrte ein paar Mal kräftig am Strick und Micky stand prompt wie zur Salzsäule erstarrt. Jetzt war die Stute die Bravheit in Perfektion und machte keinen Mucks.
Anne konnte nur noch den Kopf schütteln. Wie macht er das bloß?, fragte sie sich. Robin, ein guter Stallkamerad, hatte ihr schon des Öfteren bei ihrem frechen Stütchen zur Seite gestanden. Vor ihm zeigte Micky Respekt. Alles eine Sache der Konsequenz und Ordnung, referierte er ständig. Sein eigenes Pferd, eine stolzer Hannoveraner hervorragender Abstammung, war wie zum Beweis ein Musterbeispiel an guter Ausbildung. Robin legte auf die edle Rasse enormen Wert. Stolz prangte ein Namensschild mit Stammbaum an der Boxentür seines Pferdes. Ein Pferd muss immer wissen, wer der Chef ist, es braucht jemanden, zu dem es aufschauen kann und vor dem es wirklichen Respekt hat, so war Robins Grundsatz.
Na ja, eine solche Person bin ich für Micky jedenfalls nicht, dachte Anne bedauernd, die Stute fing sofort wieder an zu betteln, als sie sie am Kopf streichelte.
Robin zog ihr mit der flachen Hand eins über die rosa Nase, und Micky sprang ängstlich zurück.
„Hey, du schlägst sie doch wohl nicht, wenn ich nicht da bin?“, fauchte sie ihn an.
„Quatsch“, meinte Robin, „so ein kleiner Klaps hat noch niemandem geschadet. Oder glaubst du, Pferde diskutieren irgendetwas untereinander aus? Da geht’s doch körperlich ganz anders zu.“
Anne zuckte mit den Schultern. Robin nahm Micky am Strick, und sie trottete brav mit ihm mit.
„Ich helfe dir jetzt, dein Pferd zu longieren. Wäre doch gelacht, wenn wir das mit ihr nicht hinbekämen, oder?“
Er lachte Anne auffordernd an. Sie war dankbar für seine Hilfe und lief los, um ihre Handschuhe zu holen.
Das Longieren machte Spaß,
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