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Das Erbe des Zitronenkraemers

Das Erbe des Zitronenkraemers

Titel: Das Erbe des Zitronenkraemers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Kirchen
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bei diesem Wetter Martin Krischel zu beerdigen. Hannes sah über die Friedhofsmauer zum Haus von Krischel. Am offenen Fenster erkannte er Martins Bruder, daneben eine alte gebrechliche Frau im Rollstuhl. Martins Mutter schien nicht mitzubekommen, was hier vor sich ging. Sie schaute noch nicht mal in die Richtung des Grabes. Glückselige Demenz. Hannes nickte den beiden trotzdem kurz zu und sah sich weiter um. Ein wenig weiter weg standen ein paar junge Burschen herum, die sich leise miteinander unterhielten. Hannes erkannte in ihnen einige der freiwilligen Treiber von der Jagd. Wahrscheinlich fühlten sie sich verpflichtet, anwesend zu sein. Schließlich waren sie quasi Zeugen von Krischels Tod.
    Ob die wohl auch alle überprüft worden waren? Wahrscheinlich schon, überlegte Hannes und stimmte in das nun einsetzende Gemurmel der Menge ein. „In Ewigkeit, Amen“, seufzte er erleichtert. Geschafft! Aber das Schlimmste sollte ihm noch bevorstehen; die Hornbläser der Jäger stimmten in diesem Moment ihr Abschiedslied für Martin an.
    Unter dem gewöhnungsbedürftigen Klang der Blasinstrumente blickten die Menschen dem Sarg nach, der feierlich herabgelassen wurde. Dann endlich kam Bewegung in die mittlerweile vor Nässe triefende Trauergemeinde. Jagdpächter Gritzfeld keuchte an Hannes vorbei, um als erster die Weihwasserschüssel am Rande des Grabes zu erreichen. Er segnete den Sarg und schloss sich dem Pastor sowie dem Messdiener-Tross an, die bereits dabei waren, diesen wenig anheimelnden Ort zu verlassen. Mit einem Mal wollten anscheinend alle nur noch fort. Der Andrang an das heilige Wasser hatte etwas vom Flair eines Sommerschlussverkaufs. Hannes ließ sich von hinten drängeln und schaffte es, sich in eine Zweierreihe aufzustellen. Er war froh, dass Anne zuhause im Trockenen geblieben war und sich dieses falsche Theater nicht antun musste. Der Pfad zur offenen Grabstelle war mittlerweile vollkommen verschlammt und glitschig. Hannes Schuhe würden einer längeren Reinigungsprozedur standhalten müssen. Endlich konnte er den Segnungsstab von seinem Vorgänger in Empfang nehmen, doch kaum, dass er an der Kante des offenen Lochs stand, mit exklusivem Blick auf den von nassen Erdklumpen und vereinzelten Rosen verzierten Sarg, spürte er von hinten einen schmerzhaften Tritt mitten in die Kniekehle. Augenblicklich klappte Hannes zusammen wie ein Schweizer Taschenmesser und sah sich selbst wie in Zeitlupe über den schlüpfrigen Rand des Grabs hinwegrutschen. Dann ging alles ganz schnell. Er hörte noch die letzten der für ihn irgendwie erstaunt verstummenden Jagdhörner, das Aufschreien der Menge, das Klatschen des Segnungsstabes auf das Holz des Sargs und das Geräusch des Hineingleitens seines eigenen Körpers in das dunkle Loch. Er war wie erstarrt. Niemand kam und half ihm. Hannes rappelte sich auf die Beine und versuchte, Halt auf dem rutschigen Holz zu finden. Der Sarg knarzte bedenklich, und Hannes betete zum Himmel. „Bitte lass mich da nicht auch noch durchbrechen!“ Er sah sich schon mit seinen Matschschuhen in Martins weggeschossenem Gesicht herumtreten und konnte das alles nicht fassen. Wie konnte das nur passieren? Bin ich wirklich gestoßen worden? Oder bin ich einfach nur ausgerutscht? Nein. Ich habe ganz deutlich einen Tritt gespürt. Von hinten, in die Kniekehle. Panisch schaute er nach oben. Halb Bekond säumte mit offenen Mündern den Rand des Grabes und starrte entsetzt auf ihn hinunter. „Habt ihr gesehen, wer das war?“, rief Hannes hektisch. Endlich erbarmten sich zwei der jungen Burschen und reichten ihm die Hände entgegen. Hannes grabschte danach, verzweifelt um Halt bemüht, und ließ sich langsam von ihnen hochziehen. Sofort sah er sich in alle Richtungen um, aber die immer noch wie narkotisiert wirkende Menge versperrte ihm jegliche Sicht. „Hat irgendeiner gesehen, wer mich getreten hat?“, rief Hannes erneut. Doch er blickte nur in verwirrte Gesichter; eine Alte fuchtelte andauernd mit ihren Händen etwas Ähnliches wie ein Kreuzzeichen vor ihrer Brust und murmelte unablässig „Jesus und Maria“. Von der anderen Seite kam leises Getuschel: „… das war ein Omen, ganz bestimmt.“ Panik kroch Hannes in den Nacken, kalt und unheimlich wie uralter Aberglaube. Er schlug mit seinen vor Schmutz und Dreck starrenden Händen um sich, als wollte er die Menschen davonjagen. „Der Herr sei mit ihm“, murmelte die Alte. „Ihr könnt mich alle mal“, schrie Hannes verzweifelt und

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