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Das Erbe des Zitronenkraemers

Das Erbe des Zitronenkraemers

Titel: Das Erbe des Zitronenkraemers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Kirchen
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Wams aus und schüttete den Schmuck aus dem Beutel. Dann begann die mühevolle Arbeit. Mithilfe der Stoffstücke, in denen die Schmuckstücke eingewickelt waren, einer großen Fischgräte, die ich aufgehoben hatte und nun als Nadel nutzen konnte, sowie ein paar ausgerissener Wollfäden nähte ich jedes einzelne Schmuckstück mühevoll in das Wams ein. Dank der einzelnen Stofftaschen klimperte nichts, als ich das Wams endlich wieder über den Kopf zog. Darüber streifte ich den Dragonerrock, zog die Uniformhose an und stülpte die Mütze auf den Kopf. Dann nahm ich allen Mut zusammen und marschierte zielsicher in das Nachtlager der Franzosen.
    Alles schlief bereits. Dies schien mir eine seltsame Einheit zu sein. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ein Zelt aufzuschlagen oder ein Feuer zu entfachen. Auch saßen keine Männer bei Essen und Wein zusammen. Einen einzigen Wagen führten sie mit sich, ein einsames Pferd graste daneben. Niemand hielt Wache.
    Ich durchsuchte den Wagen und fand einen Laib hartes Brot. Gierig biss ich hinein und mir dabei fast die Zähne aus. Mit einer Kelle schöpfte ich Wasser aus einem Fass. Kaum dass ich es angesetzt hatte, spuckte ich alles wieder aus; das Wasser schmeckte faulig und verdorben. Irgendetwas stimmte hier nicht. Und dennoch, ich musste wohl bis zum nächsten Morgen warten, um Näheres zu erfahren. Ich kaute noch ein wenig Brot und legte mich gleich darauf zur Ruhe. Mit diesen Männern durch den Hunsrück zu ziehen, war auf jeden Fall sicherer, als allein im dichten Wald erschlagen oder von Wölfen gefressen zu werden. Außerdem könnte ich vielleicht so Boltera zuvorkommen und ihn erwischen.
    Früh am Morgen erwachte ich. Im Lager stank es erbärmlich. Ich sah Männer, die dort, wo sie lagen, ihre Notdurft verrichteten. Eine Mischung aus den Gerüchen von Exkrementen und Fäulnis verdarb die Luft. Mich schauderte. Wo war ich nur hingeraten? Ich blickte in fahle, blasse Gesichter; die Soldaten waren schwach und abgemagert, manche bis auf die Knochen. Sie alle waren krank. Von ihren Kameraden zurückgelassen, auf dass sie niemanden ansteckten. Sie zogen ziellos durch die Lande, geschüttelt von Durchfall und Erbrechen. Wer ich sei, wollten sie wissen. Ich sei ihr Kamerad Jacques, ob sie mich denn nicht erkennten? Doch, doch, erwiderte einer. Ob ich gesundet sei?, wollte er wissen.
    Ja, ich war gesundet, auch sie würden heil werden, beruhigte ich sie. Daraufhin zogen wir weiter. Gen Osten, bestimmte ich. Und sie folgten mir. Trotz all des Elends um mich herum fühlte ich mich sicher. Ich war nicht länger allein. Ich hatte Kameraden. Und meine Kameraden hatten Waffen, Degen und Musketen. Ich erlernte rasch das Laden und Schießen und versuchte mich auf der Jagd. Ich erlegte tatsächlich ein Reh und ein paar Kaninchen; die scheuen Rebhühner aber entwischten mir. Wir brieten das Fleisch abends am Feuer. Manche aßen, manche nicht. Auch kochte ich kräftigende Fleischbrühe für jene, die keine feste Nahrung aufnehmen konnten. Dennoch, manch einer blieb auf dem Weg zurück. Wir begruben unsere toten Kameraden am Wegesrand. Einige wurden kräftiger. Für Essen und frisches Wasser trug fast gänzlich ich Sorge. Ich pflegte sie und wusch ihre Kleidung in klaren Bächen. Etliche von ihnen wurden gesund. Ich aber begann, mich krank zu fühlen. Am dritten Tag litt ich an Durchfall. Kaum einen Schluck Wasser behielt ich bei mir. Mir war elend zumute, doch ich zwang mich, etwas zu essen und zu trinken. Ich wollte noch nicht sterben! Nicht jetzt! Und mein Überlebenswille schenkte mir die nötige Kraft, langsam hatte die Qual ein Ende. Ich überlebte. Meine erstarkten Kameraden legten mich auf den Wagen, und wir zogen weiter. Weiter durch grüne und fruchtbare Täler und über dicht bewaldete Höhenzüge. Bald lagerten wir vor den Toren von Thalfink. Endlich konnten wir unsere Vorräte auffüllen. Und ich wurde kräftiger, von Tag zu Tag. Wir waren noch ein Trupp von 22 Soldaten. Wahrlich keine Streitmacht, vor der eine Stadt sich fürchten musste. Die Einheit wollte weiterziehen nach Simmern. Dort hatte ihr ursprünglicher Befehl sie hinbeordert. Sie hofften, auf weitere Truppen zu stoßen, denen sie sich wieder anschließen konnten. Aber das war nicht meine Richtung. Ich würde diese Männer und ihren Schutz verlassen müssen, obwohl ich noch immer nicht vollständig genesen war. Ich ging mit drei meiner Kameraden in die Stadt, da ich Verpflegung benötigte, wenn ich nun meinen Weg

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