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Das Erbe des Zitronenkraemers

Das Erbe des Zitronenkraemers

Titel: Das Erbe des Zitronenkraemers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Kirchen
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die freundliche Stimme des Computers hatte keinerlei Ahnung, wo Thalfinck auf diesem Planten liegen sollte.
    Er musste das Risiko eingehen. Er musste einfach das Risiko eingehen, geortet zu werden. Claire hatte ihm berichtet, dass die Polizei ihn suche, um ihn zu befragen; ob er nicht zufällig Anne Seifert hinterherstelle und zudem noch ihren Freund Hannes Harenberg umzubringen versucht habe. Andreas konnte nur mit dem Kopf schütteln. So was Lächerliches. Er riskierte es. Bis irgendwelche Beamten diese Straßenecke kurz vor Fell gefunden hätten, wäre er längst über alle Berge. Also schaltete er sein Handy an. Er ging ins Internet und gab den Suchbegriff ein.
    Eine Minute später lag das Gerät wieder ausgeschaltet auf dem Beifahrersitz und das Navi dirigierte ihn durch Fell über Büdlicher Brück direkt nach Thalfang. Wer hätte gedacht, dass sich ein Ortsname im Laufe der Zeit so verändert?
    Andreas fuhr gemächlich. Er wollte die Landschaft in sich aufnehmen. Er stellte sich dabei vor, wie Jacob über diese Höhenrücken und gleich darauf wieder durch üppig bewachsene Täler gewandert sein mochte. Er versuchte sich vorzustellen, an welchem Ort er wohl auf die an Cholera erkrankten französischen Soldaten getroffen war. Hatte er sie das erste Mal vielleicht von diesem Hügel aus gesehen?
    Andreas wünschte sich, er könnte auch zu Fuß gehen. Einfach eine Wanderung durch den Hunsrück machen. Auf Jacobs Spuren. Aber das traute er sich nicht zu. Vielleicht irgendwann einmal.
    Andreas hielt noch vor dem Ortsrand von Thalfang an. Er wusste, es war zwecklos. Die Ausdehnung des Ortes hatte sich mit Sicherheit seit 1687 stark verändert. Dennoch. Aus dieser Richtung kommend musste auch Jacob damals Thalfang erreicht haben. Und dort hatten sie gelagert, so stand es geschrieben. Er wanderte am Waldrand entlang. Andreas hielt Ausschau nach einer besonders großen Tanne. Es gab viele Tannen. Die, die er suchte, musste mindestens ein paar hundert Jahre alt sein, wenn sie doch schon damals so beeindruckend und auffällig gewesen war, dass Jacob sie als geeignete Begräbnisstätte auserkoren hatte.
    Andreas suchte den Waldboden unter einer Gruppe besonders mächtiger Bäume ab und hoffte, hier einen größeren Sandsteinbrocken vorzufinden. Er durchkämmte Geäst und verwelktes Laub, bückte sich nach dem einen oder anderen Stein, der ihm auffällig erschien. Er hielt Ausschau nach einem archaisch wirkenden Exemplar, doch schließlich gab er mit einem tiefen Seufzer auf. Zu viel hatte sich wahrscheinlich seit damals verändert, und auch der Baum war vermutlich längst gefällt. Andreas hatte sich ausgemalt, einen alten, mit Moos bewachsenen Sandstein zu entdecken. Er hätte das Moos mit den Fingern abgeschabt und darunter die eingeritzten Buchstaben G und B erkennen und mit seinen Händen erfühlen können, was sein Urahn Jacob vor 319 Jahren mit seinem Messer in diesen Stein geschnitzt hatte.
    Andreas vertrieb die schöne Illusion mit einem Kopfschütteln und rieb sich den Schmutz von seiner Hand an der Hose ab. Es war hoffnungslos; der exakte Platz der Grabstelle Gustavo Bolteras würde für immer unauffindbar bleiben. Gleichwohl, irgendwo hier unter seinen Füßen hatte Jacob den Rechtsgelehrten zu seiner letzten Ruhestätte begleitet. Dessen war Andreas sich sicher; er war auf dem richtigen Weg.
     
    Chronik der Familie Steinmetz, Teil VI
    1687, Thalfink
     
    Er saß allein an einem Tisch, ganz hinten. Boltera. Er schaute auf, als er uns Soldaten eintreten sah. Er blickte mich direkt an, und seine Augen schienen zu fragen: Jacob, ein französischer Soldat? Deutlich war es an seinem ungläubigen Gesichtsausdruck abzulesen. Aber ich hatte meine Kameraden hinter mir. Nichts konnte er mir hier drinnen antun. Also trat ich zu ihm und setzte mich an seinen Tisch. Meine Kameraden nahmen ebenfalls Platz. Sie wunderten sich wohl, als ich mich mit diesem Deutschen in seiner Muttersprache unterhielt. Aber niemand von ihnen sagte ein Wort dazu, sie tranken ruhig aus ihren Bierkrügen.
    „So hast du dich also versteckt“, eröffnete der Rechtsgelehrte das Gefecht. „Überall habe ich dich gesucht, du elender Mörder und Verräter! Ich werde dich zur Rechenschaft ziehen“, brüllte er mich an.
    „Nicht ich bin der Mörder, sondern vielmehr Ihr, wie mir scheint“, konterte ich selbstbewusst. „Ihr habt diese Halunken bezahlt, Ambrosius und mich zu töten und den Schmuck zu rauben, auf dass Ihr Euch Eure eigenen Taschen

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