Das Erbe des Zitronenkraemers
Unsichtbarkeit entlocken, so klar und rein war er. Ich schliff ihn mit immer größerer Perfektion, mit immer zahlreicheren Facetten. Ich war wie besessen, meine Kunst zu vollenden und unablässig neue Formen zu kreieren, noch kleinere Schliffflächen zu erschaffen, auf dass er im gleißenden Licht klarer und heller erstrahlte als je zuvor.
Noch heute trägt Katharina meinen ersten Versuch, einen Bergkristall zu schleifen, um ihren schlanken Hals. Ich schenkte ihn ihr damals, nach meiner ersten Woche bei den Schleifern. Zwei Tage später kam sie des Nachts in meine Kammer. Seither teilte ich Bett und Tisch mit ihr. Und tue dies noch heute.
Bald darauf heirateten wir in der Felsenkirche zu Oberstein, erbaut mitten in den Fels. Von einem Mann als Sühne dafür, dass er seinen eigenen Bruder ermordet hatte. Während der Trauung gingen seit Langem meine Gedanken wieder zurück zu Ambrosius, aber ich schob die Erinnerung an ihn beiseite, denn ich war so unsagbar glücklich. Und Ambrosius‘ Schmuck ruhte unversehrt im Fußboden unter dem Bett meiner alten Kammer. Niemals hatte ich an ihn gerührt.
Ich erlernte auch, die begehrten Steine aus dem Boden der Gruben zu sprengen. Dazu trieben wir Holzklötze in den Fels. Durch das Sickerwasser, das fortgesetzt durch Spalten und Ritzen in die Höhlen gluckerte und sich mancherorts sogar zu unterirdischen Seen sammelte, wurde das Holz aufgeweicht. Dann hieß es, sich in Geduld zu üben; Wochen mussten wir warten, bis es genügend in seinem Umfange gewachsen und gequollen war, dass es den Stein zu sprengen vermochte.
Ich lebte nun schon den zweiten Sommer in Idar und genoss mein Leben, wie ich es mir eingerichtet hatte. Meine Arbeit, die mich erfüllte, meine Frau und mein kleiner Sohn Johann, der wuchs und gedieh, schenkten mir Glück und Zuversicht. Die Plagen der vergangenen kalten Jahreszeit hatte ich verdrängt. Aber unwiderruflich kam sie von Neuem über das Land.
Im Herbst wurde die Arbeit schlimm. Im Winter beinah unerträglich. Das Wasser, das am Sandstein ständig herunterlaufen musste, um den Stein während des Schleifens zu kühlen, war bitterkalt. Mit steif gefrorenen Händen hielt ich den Amethyst gegen das Rad. Ich musste all meine Kraft aufwenden, denn der Sandstein war ebenso hart wie die Edelsteine. Die Schleife war erfüllt von klammer Kälte und furchtbarem Staub. Bald hustete ich wie alle anderen. Seit ich hier war, waren zwei der Schleifer bereits gestorben. Zuletzt hatten sie sich die Seele aus dem Leib gehustet; wegen der schlechten Luft in den Minen und dem Staub beim Schleifen. Man erzählte mir, dass es das Schicksal der Schleifer sei, kaum vierzig Lebensjahre zu erreichen. Sie schufteten von jungen Jahren an, und der Husten raffte sie irgendwann alle dahin.
Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte ein Leben haben, eine Zukunft. Mein Leben mit Katharina und mit meinem Sohn. Ihn sollte nicht das gleiche Schicksal ereilen, das mich getroffen hatte: Er sollte nicht ohne Vater aufwachsen.
Mittlerweile hatte ich einen Namen. Aus dem einfachen Jacob war Jacob Steinmetz geworden. Das Glück war mir hold beim Schürfen der Steine, und ich vervollkommnete meine Schleifkunst stetig. Inzwischen hatte ich feste Kundschaft, und ich hoffte, die Herren aus Düsseldorf würden mich alsbald noch einmal aufsuchen.
Es waren Schmuckhändler und Goldschmiede aus der reichen Stadt am Rhein. Schon mehrfach hatten sie mich überreden wollen, mit ihnen zu kommen. In Düsseldorf liege meine Zukunft, mit meinem Geschick. Und dann erinnerte ich mich an etwas, das ich fast vergessen hatte; ich kletterte die Leiter zu meiner ehemaligen Kammer hinauf.
Ich hob die alte Diele an,Und da lag er. Mein uralter Schmuck. Wundervolle, klare Edelsteine, wunderschön in edles Metall gefasst. Erst jetzt erkannte ich die handwerkliche Kunst und den wahren Wert.
Wenn die Herren noch einmal kämen, und sie würden kommen, dessen war ich mir sicher, dann würde ich mit ihnen ziehen. Ich würde umsiedeln nach Düsseldorf, zusammen mit Katharina und Johann. Und dann würde ich dort Schmuckhändler werden. In Gedanken griff ich wahllos nach einem der Schmuckstücke.
Dies war ein Schwur. Während ich ihn für mich selbst leistete, hielt ich einen roten, in Gold gefassten Rubin so stark in meiner Faust gepresst, dass mich der Abdruck in meiner Hand noch lange daran erinnern sollte.
Nun wartete ich jeden Tag. Das Wetter verschlechterte sich immer mehr, die Wege wurden unpassierbar durch Regen,
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