Das Erbe des Zitronenkraemers
Musik und Literatur.
Düsseldorf, im Jahre 1696
Jacob hielt inne. „Und nun sind wir bereits an dem Punkt meiner Lebensgeschichte angekommen, an dem ich heute hier vor Euch sitze.“
„Eure Geschichte hat mich aufs Beste unterhalten. Viel habe ich über Euch erfahren dürfen, einiges davon, so denke ich, konnte ich in Euer Bildnis einfließen lassen. Kommt nur und seht selbst!“
Jacob folgte der Aufforderung, erhob sich langsam und schritt würdevoll hinter die Staffelei, obschon er so aufgeregt und in gespannter Erwartung war wie ein kleines Kind.
Und Jacob staunte. De Largillière hatte ein vortreffliches Kunstwerk erschaffen. Er sah sich selbst in die Augen und hatte das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen. In einen Spiegel seiner Selbst, in einen Spiegel seiner Seele. Jacob war gerührt und stolz zugleich. Fürwahr, dies hier war er, Jacob Steinmetz.
„Ich bin erfreut, dass es Euren Beifall findet. Nur, sagt mir noch eines: Was ist aus diesem alten Schmuck geworden? Habt Ihr die Stücke veräußert?“
„Oh nein, gottlob, niemals war ich in einer Notlage, die mich dazu gezwungen hätte! Dieser Schatz ist mein Privatbesitz und soll es immerfort bleiben, auf dass ich mich daran erfreuen kann und er mich immer daran erinnern möge, wie alles begann.“
„Aber vielleicht“, der Maler redete zaghaft und leise, „vielleicht würde es Euer Gewissen beruhigen, wenn Ihr Ambrosius‘ Familie aufsuchen würdet und ihr den Schmuck zurückgäbet.“
Jacob wurde schwer ums Herz. Vielleicht hatte der Künstler recht. Auch er selbst hatte schon des Öfteren daran gedacht. Vielleicht würde dieser Akt die schwere Last von seinen Schultern nehmen. Aber er konnte es nicht, würde es wohl niemals können. Zu sehr hing sein Herz an diesem Schatz.
„Nun, vielleicht eines Tages“, erwiderte er ausweichend.
So endet denn nun die Geschichte meines Vaters Jacob Steinmetz. Die schrieb sein Sohn, Johann Steinmetz, im Jahre 1696 zu Düsseldorf.
Kapitel 27
Claire war außer sich. Wie konnte denn so etwas passieren? Kann man sich denn auf niemanden mehr verlassen?
Wie soll ich das nur Andreas beibringen?
Diese Anwälte! Baden in ihrem Geld, in ihren Honoraren, in Andreas Geld! Und wofür? Dafür, dass sie alles vermasseln, alles verschlampt haben.
Vor Wut schnaubend öffnete sie die Tür zur Villa. Sie fand Andreas im Kaminzimmer; er übte gerade mit seiner Unterarmprothese. Dieses kleine Wunder der Technik besaß an seiner Innenseite Elektroden, die die Energie der Muskelkontraktionen an die Prothesenmotoren übertrug. Inzwischen kam Andreas schon ganz gut damit zurecht, hatte gelernt, ein Glas zu greifen oder eine Tasse. Mit einer Gabel zu hantieren, fiel ihm allerdings noch schwer; an diese Bewegungen mussten sich die Nerven der verbliebenen Armmuskulatur erst gewöhnen. Andreas musste lernen, willentlich bestimmte Muskelgruppen anzuspannen, um so die gewünschte Bewegung der künstlichen Mechanik herbeizuführen. Dafür trainierte Andreas wie ein Besessener. Und er machte Fortschritte. Seine Reise in die Vergangenheit hatte ihm tatsächlich gut getan. Seit er sich darüber im Klaren war, was er wirklich wollte, zeigte er sich selbst gegenüber unerbittlich, übte stundenlang. Endlich hatte Andreas ein neues Lebensziel, doch Claire war nun gezwungen, ihm diese Hoffnung zu nehmen.
Sie hatte solche Angst davor, dieses Thema anzuschneiden, dass sie ihn behandelte, als wäre er gerade drei Jahre alt. Die Kindergartentante erklärt dem verwöhnten Sprössling aus reichem Hause, dass sein kostbares Spielzeug weg ist. Verschwunden, verschollen. Sein Schatz, von bösen Piraten geraubt.
Die Anwälte hatten keine Erklärung parat; keine Erklärung dafür, wie angeblich einer von ihnen es geschafft haben sollte, dem Kunsthistorischen Museum in Wien den Steinmetz-Schmuck auf legalem Wege abzuschwatzen. Uralter Schmuck, der als Teil einer Wanderausstellung vertraglich für Jahre gebunden war. Die Trierer Kunstgesellschaft, die sich bereits seit Monaten vergeblich bemüht hatte, diesen Schmuck für die anstehende Konstantin-Ausstellung überlassen zu bekommen, war erfolglos geblieben. Keine Chance. Vertrag blieb Vertrag. Und trotz alledem hatte jetzt jemand diesen Schmuck erhalten, angeblich im Namen der Kunstgesellschaft Triers und der Anwälte von Andreas Steinmetz, dem Alleinerben von Bernd Steinmetz. Und Wien hatte den Schmuck herausgegeben. Ordentlich registriert und verschickt. Nur, der Schatz war
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