Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
wenn die Geister aus lange vergessenen Tagen erneut unter sie kamen.
»Was glaubst du, welche Botschaft uns das Schiff bringen wird?« Valralka unterbrach die Gedanken der Kanzlerin. Nerija brauchte einen Moment, um über die Frage der Prinzessin nachzudenken, wobei sich ihr Antlitz verdüsterte. Auch Valralka wusste, dass die Ankunft eines weiteren königlichen Schiffes aus Maladan kein gutes Zeichen sein konnte. Der Blick, den Nerija ihr nun zuwarf, bestärkte ihre Vorahnung. Irgendetwas musste in Maladan passiert sein, von dem sie sofort Kunde haben sollten. Einen anderen Grund für das Erscheinen des Schiffes konnte sie sich nicht vorstellen. Hoffentlich war nichts Schlimmes passiert, dachte sie bei sich. Aber die Vorahnung von großem Übel ließ sich nicht mehr abschütteln.
Nerija sah Valralka weiter an und sagte: »Heute werden wir es nicht mehr erfahren. Doch wenn der Sturm vorübergezogen ist, wird das Schiff uns die Kunde bringen. Üben wir uns bis dahin in Geduld, Prinzessin.«
Valralka empfand die Antwort der Kanzlerin zwar nicht als beruhigend. Doch diese neigte nicht dazu, über irgendwelche Dinge zu spekulieren, wie Valralka wusste. So nahmen sie schweigend ihr Mahl ein und sprachen nicht mehr viel miteinander, bevor sie sich schlafen legten.
Valralkas Kammer lag hinter der der Kanzlerin, doch hatte auch diese eine Tür zum Gang. Bevor die Prinzessin sich zu Bett legte, prüfte sie, ob die Tür verschlossen war. Leider war sie es. Sofort ging sie zum Fenster ihres Gemachs, um zu schauen, ob sie von dort aus hinunter in den Hof klettern konnte. Sie wollte unbedingt ihren einzigen Freund in dieser Welt heute Nacht am Jahre zuvor vereinbarten Treffpunkt wiedersehen. Doch der Hof war so weit unter ihr, dass sie ihn unter ihrem Fenster fast nicht erkennen konnte. Es gab auch keine Möglichkeit, irgendwie hinunterzuklettern, wie sie feststellen musste. Doch ihre Resignation dauerte nur einige Augenblicke, denn es stand für sie unumstößlich fest, dass sie sich in dieser Nacht mit ihrem Freund Tankrond treffen würde. Daran gab es nichts zu rütteln. Wenn es sein musste, dann würde sie sich wohl oder übel durch das Gemach der Kanzlerin schleichen müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Es war ihr in jenem Augenblick auch egal, ob Nerija sie dabei erwischen würde.
Das Geschenk
Burg von Schwarzenberg, 12. Tag des 6. Monats 2513
Mit diesem trotzigen Gedanken löschte sie die Kerze und legte sich auf ihr Bett. Sogleich waren ihre Gedanken wieder bei Tankrond, dem kleinen Jungen aus Schwarzenberg. Doch er war nun kein kleiner Junge mehr wie der, den sie vor fünf Jahren verlassen hatte. Inzwischen war er um einiges gewachsen, stellte sie wieder fest, als sie sein Bild vom heutigen Morgen noch einmal vor ihr geistiges Auge rief. Er war irgendwie anders, als sie ihn in Erinnerung hatte. War sie für ihn etwa gar nicht mehr von Interesse? Sich mit ihr an den Häusern der Toten zu treffen fand er nun womöglich kindisch? Dieser Anflug von Unsicherheit währte zwar nicht sehr lange, doch er traf sie mehr ins Herz, als sie sich zunächst eingestehen wollte. Dann verdrängte sie den Gedanken mit der Gewissheit, dass Tankrond sich an ihre Abmachung halten würde.
Mehr Sorgen bereiteten ihr die Wachen am Ende des Ganges. An ihnen musste sie schließlich vorbeigelangen, wenn sie sich erst durch Nerijas Zimmer geschlichen hatte. Zu ihrem Glück waren es ihre königlichen Wächter und nicht die Leibwachen Nerijas, die in der Burg von Schwarzenberg über den Schutz der hohen Frauen wachten.
Sie schmunzelte in der Dunkelheit. Mit Glück hatte das nichts zu tun gehabt, sondern mehr mit ihrer eigenen Voraussicht, sich in die Wachpläne einzumischen, als diese noch auf der Überfahrt von den Hauptleuten festgelegt wurden.
Dann musste sie an das Geschenk denken, welches sie Tankrond machen wollte. In der Dunkelheit ihres Schlafgemaches suchten ihre Augen nach der Reisekiste, in der sie es versteckt zwischen ihrer Kleidung aufbewahrte. Doch es war zu dunkel, um die Kiste erkennen zu können. Während der ganzen Reise hatte sie die Kiste nie aus den Augen gelassen. Den Schlüssel dafür trug sie immer bei sich. Ihren Hofdamen, die bei den Schiffen auf ihre und Nerijas Rückkehr warteten, war dies zwar aufgefallen, doch dachten sie sich nichts weiter dabei. Sie hielten den Aufwand, den die Prinzessin um die Reisekiste machte, mehr für einen kindlichen Spleen ihrer Herrin, als dass sie dahinter einen anderen
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