Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
schon, als sie sie verstaut hatte, war das Silber genau so schwarz angelaufen gewesen, wie sie es sich erhofft hatte. Genau diese Eigenschaft des Metalls wollte sie für sich in Anspruch nehmen. Niemand sollte erkennen können, dass sich unter der Silberschicht Edelsteine befanden und das Objekt daher einen größeren Wert besaß, als es auf den ersten Blick vermuten ließ.
Ein Junge aus den Thainlanden trug nun einmal keine wertvollen Schmuckstücke, damit hätte er nur unnötiges Aufsehen erregt, was es zu vermeiden galt. Eine silberne Gürtelschnalle war zwar immer noch ein wertvolles Stück an einem Heranwachsenden, jedoch konnte man sie als Familienerbstück durchaus durchgehen lassen. Denn schließlich wurde alles, was Wert hatte, von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben. Und so konnte sich auch die Gürtelschnalle schon lange im Besitz der Familie Tankronds befunden haben und als Erbstück erklärt werden.
Valralka nahm die Schnalle aus dem Seidentuch und hielt sie in der Hand. Sie konnte sie im dunklen Zimmer, durch dessen Fenster nur wenig Licht fiel, fast nicht erkennen. Nur die Umrisse ließen sich bei längerer Betrachtung erahnen. Und doch war es ihr auf einmal, als ob die roten Einlegearbeiten durch das Silber hindurchscheinen würden. Als sie rasch mit den Augen blinzelte, um sich ihrer Entdeckung zu vergewissern, war der schwache rote Schimmer wieder verschwunden. Sicher hatten ihr nur ihre Sinne einen Streich gespielt. Wie könnte es auch anders sein?
Sie dachte nicht mehr länger über den schwachen Schein nach, sondern lenkte ihre Gedanken weiter auf ihren Plan für die heutige Nacht. Bald würde sie sich auf den Weg machen, jenen zu treffen, nach dessen Anwesenheit sie sich die letzten Jahre gesehnt hatte. Die Stunde ihres erneuten Zusammentreffens rückte immer näher heran.
Wiedersehen
Schwarzenberg, Häuser der Toten, nachts
13. Tag des 6. Monats 2513
Tankrond war es sehr leicht gefallen, sich aus dem Hause zu stehlen, und niemand hatte seine Flucht bemerkt. Alle schliefen anscheinend tief und fest. Er hatte aber auch fast kein Geräusch verursacht. Nur beim Schließen der Haustür quietschte das Schloss etwas. Doch anscheinend hatte auch dieses leise Geräusch niemanden im Haus aus seinem Schlaf aufgeweckt.
Tankrond sah sich verstohlen um. Auch auf der Straße war niemand zu erkennen. Schwarzenberg lag ruhig im Dunkel der Nacht. Während er in die Richtung des Hafens blickte, stellte er fest, dass der Sturm, der sich am Nachmittag angekündigt hatte, doch nicht über die Stadt hinweggezogen war. Anscheinend hatte er seine Richtung geändert und war wieder zum Meer hin oder gen Norden weitergezogen. Diesen Umstand fand er nun praktisch. Denn so mussten er und Valralka, sollte sie denn wirklich kommen, keinen Schutz vor dem Regen suchen. Andererseits wäre es sicherer gewesen, sich bei Regen zu treffen. Denn dann hätte sich sicherlich sonst niemand außerhalb seines Hauses aufgehalten, um nicht nass zu werden. Dies hätte ihnen mehr Sicherheit vor einer Entdeckung gewährt.
Tankrond lenkte seine Schritte zur Straße und blickte zur Burg hoch. Hinter ihr lagen die Häuser der Toten, ihr Treffpunkt. Als er die Einfriedungsmauer zu den Grabanlagen erreichte, sah er sich noch einmal nach allen Seiten um, ehe er durch den Torbogen schritt. Doch auch hier war niemand zu sehen, der sich über den nächtlichen Besucher wundern konnte.
Die Gräber lagen nun im hellen Mondlicht vor ihm, die turm- und hausartigen Aufbauten ragten still und würdevoll empor. Die Menschen von Schwarzenberg legten viel Wert auf eine standesgemäße Bestattung ihrer Toten. Daher war die Handwerkskunst an einigen Grabmalen von höchster Kunstfertigkeit. Viele Gräber waren kleine Hallen, in denen ganze Geschlechter ihre letzte Ruhe fanden. Daher kam auch der Name für diesen Ort: die Häuser der Toten. Alles hier erinnerte an kleine Häuser. Da die meisten eineinhalb bis zwei Manneslängen hoch waren, konnte Tankrond nicht die gesamte Grabanlage übersehen. Aber er wusste schließlich, wo er hinmusste. Daher ging er den mittleren der fünf Wege entlang, die von dem Platz vor dem Tor in die Grabfelder führten.
Er musste zum Grab von Hirolas, an dem er mit Valralka verabredet war. In den vergangenen Jahren war er des Öfteren dort gewesen, um sich besser an die Prinzessin erinnern zu können. Als er es nun erreichte, sah er sofort, dass ein neues Dach über dem Gemäuer thronte. Er wusste, dass die
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