Das Erbe in den Highlands
Furcht. Genevieve würde ihm für immer gehören, auch über das Grab hinaus, wie wichtig war also das Leben? Und er hatte das Gefühl, sie würden beide schon einiges Weiß in den Haaren haben, ehe sie gemeinsam ihre letzte Reise antraten. Er schloss die Augen und bedankte sich für diese zweite Chance. Sein Leben und seine Träume waren ihm zurückgegeben worden, und er würde niemals vergessen, welche Gnade dieses Geschenk war.
Dann sprudelte eine so überschäumende Freude in ihm hoch, dass er lachen musste. Er schob Genevieve etwas zurück und nahm ihr Gesicht in die Hände. » Mon Dieu, wie liebe ich dich!« Er strich ihr übers Gesicht, übers Haar, die Schulten und die Arme. Er küsste ihre Tränen fort, dann küsste er ihren Mund. Geliebte Genevieve!
Kurz gelang es ihr, seinen tastenden Händen zu entkommen und ihre Arme um seinen Hals zu schlingen. Er umfasste erneut ihre Taille und drückte Genevieve an sich.
»Dein Kettenhemd!«
»Tut mir leid«, grinste er, ließ sie aber nicht los.
»Ich denke, ich werde es überleben«, keuchte sie.
»Das hoffe ich, denn ich schwöre, ich lasse dich nie wieder aus meinen Armen.« Er hielt sie so eng wie möglich an sich gedrückt und genoss dieses Gefühl. Wie wunderbar ihr schlanker Körper sich an den seinen schmiegte. Wie beglückend es war, ihre Arme um seinen Hals zu spüren, die ihn so fest hielten, als wollte sie ihn nie mehr loslassen.
Dann traf ihn sein Geruch wie ein Schlag auf die Nase. »Du lieber Himmel, Gen, wie kannst du meinen Gestank ertragen?«, stöhnte er und ließ sie los. »Und du frierst.«
»Nein, geh noch nicht«, sagte sie rasch.
»Oh, ich verlasse dich nicht«, versicherte er ihr. Er hob sie auf seine Arme, musste lachen, weil es ihm tatsächlich gelang, und ging zur Tür des Verlieses. Eigentlich hatte er den Zugang schon immer zumauern wollen, war aber jetzt froh, nie dazu gekommen zu sein. Worthington hätte ganz schön zu tun gehabt, ihn da herauszubekommen. Leichtfüßig lief er die Treppe hinauf und genoss die Anspannung seiner Muskeln und die kalten Finger seiner Lady um seinen Hals. »Du bist völlig durchgekühlt, Gen. Ich würde vorschlagen, du duschst mit mir, damit du wieder warm wirst.«
»Kendrick!«
»Wir sind verlobt«, grinste er, als er den Korridor bei der Küche entlangmarschierte, »’s ist erlaubt.«
»Kommt nicht infrage.«
Sie würde gleich merken, dass er nur scherzte. Ihm war klar, dass er sich Zeit lassen musste mit ihr, doch seine Begeisterung war im Moment zu groß, um auf den Verstand zu hören. Er wollte nur möglichst schnell seine schmutzigen Kleider ausziehen, seinen verschwitzten Körper baden und dann seine Lady wieder in die Arme nehmen und dort behalten, bis man einen Priester holen und die Zeremonie abhalten konnte. Danach würde er sie erst aus seinen Armen lassen, wenn sie sich an dieses Gefühl gewöhnt hatte, und sie dann bis zur Atemlosigkeit lieben. Ein Teil seines Körpers regte sich und applaudierte.
Worthington tauchte gleichzeitig mit ihnen im Rittersaal auf. Er rieb sich die Augen. »Was soll dieses ganze vermaledeite Getöse?«, brummte er.
»Zu viel Wein letzte Nacht«, flüsterte Kendrick gut hörbar seiner Lady zu. »Wir fragen ihn jetzt wohl lieber noch nicht nach einem Frühstück.«
Worthington musste zweimal hingucken, als er Genevieve auf Kendricks Armen gewahrte, dann verdrehte er die Augen und sank mit einem Stöhnen zu Boden.
»Vielleicht später«, pflichtete Genevieve ihm bei.
Lachend schritt Kendrick über seinen Haushofmeister hinweg und trug seine Liebste durch die Halle. Später würde er herunterkommen, um Worthington zu wecken und ihm aufzutragen, ein Mahl zuzubereiten. Im Moment hatte er Wichtigeres zu tun, zum Beispiel baden und seine Lady ein oder zwei Mal bis zur Besinnungslosigkeit küssen.
Aye, aus einem Traum war Wirklichkeit geworden, und diese Wirklichkeit war wunderschön.
22
Genevieve saß auf dem Waschtisch im Badezimmer und hörte Kendrick in der Dusche eine mittelalterliche Melodie summen. All das zu begreifen, war einfach zu viel. Sie hatte seine Arme doch tatsächlich um sich gespürt, oder? Sie hatte gespürt, wie sich sein Kettenhemd in sie drückte, als er sie die Treppe hinauftrug. Sie hatte ihr Gesicht in seine staubigen Haare gedrückt, hatte die Wärme seiner Haut unter den Fingerspitzen gefühlt. Er war lebendig, war genauso aus Fleisch und Blut wie sie.
»Darauf zu warten, hat sich gelohnt«, stöhnte Kendrick.
Wie anders
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