Das Erbe in den Highlands
eigentlich in einer anderen Welt gelebt hatte, war eigenartig.
»Wie war es da denn?«, fragte sie. »Zu Ihrer Zeit?«
Er lächelte, ein jungenhaftes Lächeln voller Schabernack und Ungestüm. Sie war völlig hingerissen davon. Ein Grübchen hatte er auch. Wie musste seine Mutter dieses süße Mal auf seiner Wange geliebt haben!
»Würdet Ihr gerne einen Blick in meine Zeit werfen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Schaut.«
Sie blinzelte, und dann blieb ihr die Luft weg. Wo der Garten gewesen war, befand sich jetzt nur Erde. Männer und Tiere streiften auf dem Hof herum. Genevieve hörte den Klang eines Schmiedehammers auf dem Amboss. Zu ihrer Rechten ertönte ein lautes Krachen, und ein Mann im Kettenpanzer flog in hohem Bogen vom Rücken seines Pferdes, die Lanze noch immer in der Hand. Genevieve zog die Knie an die Brust, und wieder stockte ihr der Atem. Sie trug keine Jeans mehr, sondern ein Kleid.
»Wie ...?«
»Ich nenne es Vorspiegelung. Oder Trugbild, wenn Ihr wollt.«
»Aber Ihre Kleidung wirkt sehr echt.«
»Anscheinend kann ich verschiedene Stufen von Vorspiegelungen heraufbeschwören. Diese hier, zum Beispiel« - er zog sein Schwert, und die Sonne glitzerte auf der Klinge -»nenne ich dauerhafte Illusion. So wie meine Kleidung, wenn sie einmal geschaffen ist, bleibt sie Tag um Tag gleich. Der Hof hier vor uns ist eher eine momentane Illusion. Er bleibt bloß ein paar Stunden, länger nur, wenn ich dafür mehr Energie aufwende. Euer Kleid gehört zu derselben Art von Vorspiegelung.«
Genevieve klappte den Mund zu und betrachtete ihr Kleid, den Traum eines jeden Historikers. Das Kleid war grün und schien aus grober Wolle gewebt. Der Stoff fühlte sich schwer und rau unter ihrer Hand an. Auf das Mieder waren Perlen und kostbare Steine genäht, die ein kleines Vermögen wert sein mochten. Sie strich mit den Fingern über die Edelsteine und wunderte sich, wie kalt und hart sie sich anfühlten.
Der Klang von Hufschlag schreckte sie auf, und als sie den Blick hob, sah sie zwei Reiter näher kommen. Sie saßen ab und blieben vor Kendrick stehen.
»Gestattet, dass ich Euch einige meiner dauerhafteren Illusionen vorstelle.« Er deutete auf den Mann ganz links.
»Das hier ist eine stramme Ausgabe meines Vetters Jamie. Er ist nicht wirklich da - sondern nur meine Vorstellung und meine Erinnerungen, vereint in dem imaginären Körper, den ich für ihn erschaffen habe.«
Jamie war größer als Kendrick und wie ein Schrank gebaut. Seine langen blonden Haare fielen ihm weit über die Schultern herab. In der einen Hand trug er eine Streitaxt, in der anderen ein tödlich wirkendes Schwert.
»Jamie war ein edler Recke«, sagte Kendrick grüblerisch. »Jahrelang sind wir zusammen in den Krieg gezogen. Und der andere«, er deutete auf den lächelnden jungen Mann, der bei seinem Pferd stand, die Hand auf dessen Hals, »ist mein jüngerer Bruder Jason. Er erinnert mich eigentlich nur an damals, als ich jünger war und ihn im Schwertkampf übertraf. Ohne Schwert.«
Genevieve lächelte. Kendrick hatte ein gesundes Selbstbewusstsein. Er zwinkerte ihr zu.
»Ich weiß.«
Sie runzelte die Stirn. »Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Gedanken, Kendrick, und halten Sie sich aus meinen raus.«
Eigentlich wollte sie noch deutlicher werden, doch da donnerte ein anderer Mann auf einem weißen Pferd heran und sprang ab, noch ehe das Tier zum Stehen kam. Er war vollkommen in Weiß gekleidet und entsprach genau ihrer Vorstellung von einem Sarazenen.
»Das ist Nazir, der Unruhestifter schlechthin«, erklärte Kendrick mürrisch. »Als ich noch einen Körper aus Fleisch und Blut besaß, hat er viele Male versucht, mich zu töten. Erst als ich ihm beinahe den Garaus gemacht hätte, wurde er mein ergebener Sklave. Stimmt’s, Nazir?«
»Ich bin kein Sklave«, entgegnete der Mann pikiert, seine Stimme ein gespenstisches Flüstern.
Genevieve rang nach Luft. »Du lieber Himmel, er kann sprechen?«
Nazir sah sie an, und sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er genauso echt war wie Kendrick.
»Wer ist diese Frau, Mylord?«, fragte Nazir mit heiserer Stimme. »Ihre Schönheit erregt Verlangen in mir.« Er machte einen Schritt auf sie zu, und sie entdeckte eine Glut in seinen dunklen Augen, bei der ihr ganz mulmig wurde.
Kendrick erhob sich, die Hand am Schwertgriff. »Die Frau gehört mir. Du wirst sie nicht anrühren und dich ihr nicht nähern, wenn ich nicht an ihrer Seite bin. Deine einzige Aufgabe besteht darin, sie
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