Das Erbe in den Highlands
lassen.
»Da ich Eure Neigung kenne, beim geringsten Anlass in Ohnmacht zu fallen, werde ich darauf achten, meine Vorspiegelungen auf ein Minimum zu beschränken.«
»Ich falle nie in Ohnmacht. Bis auf das eine Mal, und da wären auch Sie umgekippt«, fügte sie hinzu, während sie ihm ins Haus folgte. »Ich dachte, Sie würden mich umbringen.«
Er drehte sich so abrupt um, dass sie beinahe durch ihn hindurch gelaufen wäre.
»Und Ihr glaubt, ich hätte diesen Gedanken ad acta gelegt?«
»Sie hätten mich am Strand nicht gerettet, wenn Sie mich noch immer tot sehen wollten«, sagte sie mit vorgerecktem Kinn, um sich selbst Mut zu machen. Zum Glück war er ein Gespenst. Wäre er aus Fleisch und Blut, hätte sie wie Espenlaub gezittert. Er war viel größer als sie und wie ein Footballspieler gebaut. Nicht wie einer von denen, die den Ball werfen, sondern wie die Kräftigen, die versuchten, die anderen niederzumähen. Ihre Football-Kenntnisse waren dürftig, aber sie hatte im Fernsehen gesehen, wie groß die Spieler waren. So groß war Kendrick auch.
»Ich hätte Euch ja auch retten können, weil ich mir den Spaß nicht entgehen lassen will, Euch zu töten «, erwiderte er.
»Sie wissen, dass das Ihr Problem nicht löst.«
»Und es löst sich, wenn ich Euch am Leben lasse?«
»Das habe ich nicht behauptet. Aber so haben Sie wenigstens Gesellschaft. Das sollte doch auch etwas wert sein.«
Kendricks Gesichtsausdruck wurde freundlicher. »Aye, das ist es auch. Und Ihr seid eine sehr hübsche Gesellschaft.« Er lächelte und deutete mit dem Kopf in Richtung des Bergfrieds. »Lasst uns hineingehen, und ich zeige Euch meine Lasterhöhle.«
Genevieve zögerte. Ihr war, als wäre sie dem Gespenst vor sich nie zuvor begegnet. War es nur nett zu ihr, um sie später töten zu können? Hatte plötzlich ein edler Ritter in strahlender Rüstung von ihm Besitz ergriffen, oder war das unter all seinem Grummeln und Grollen sein wirkliches Gesicht?
»Genevieve?«
Sie blickte zu ihm auf und erwiderte automatisch sein Lächeln. Was immer er auch sonst sein mochte, heute Nachmittag war er jedenfalls freundlich. Wahrscheinlich war es am vernünftigsten, das Beste daraus zu machen. Sie folgte ihm gehorsam, als hätte sie schon ihr ganzes Leben mit den Untoten verbracht.
»Lord Kendrick, Lady Genevieve«, sagte Worthington mit einer Verbeugung, als wäre nichts dabei, mit einem Gespenst herumzuspazieren.
Zu ihrer Überraschung begann sie es allmählich selbst für normal zu halten. Und wäre da nicht Kendricks beunruhigende Angewohnheit gewesen, durch alles, was ihm im Weg stand, hindurchzumarschieren, sie hätte sein Nicht-tot-Sein möglicherweise ganz vergessen. Zum Glück würde er nie wieder lebendig werden, denn bis er sich an einen Körper gewöhnt hätte, wäre er mit blauen Flecken übersät.
Sie folgte ihm die Treppen hinauf in den zweiten Stock und den Korridor entlang. Die Lichter, an denen sie vorbeikamen, gingen von selbst an.
»Wie machen Sie das?«
Er zwinkerte ihr über die Schulter zu. »Jahrhundertelange Übung.« Dann blieb er vor einer Tür stehen und machte eine einladende Verbeugung. »Meine Höhle. Nach Euch, Mylady.«
Genevieve sah die Tür an und stutzte. Schon eine ganze Woche lang hatte sie versucht, diese Tür zu öffnen. Das war also Kendricks Versteck. Sie konnte es kaum erwarten, all die Spinnweben und den Staub zu sehen, der sich in den Ecken gesammelt haben musste. Hatte er vielleicht auch einen Sarg?
Sie öffnete die Tür und blieb so abrupt stehen, dass Kendrick einfach durch sie hindurch ging, was ein höchst eigenartiges Gefühl in ihrer Magengrube hinterließ.
Von wegen Spinnweben und Wollmäuse. Kendrick war offensichtlich ein Mann, der auf einen gewissen Lebensstil
Wert legte. Da gab es einen offenen Kamin, mehrere Bücherregale mit staubfreien Büchern, einen großen Sessel mit einem Hocker davor und einige Stühle neben einem Sideboard, auf dem etliche Kristallkaraffen standen.
»Soll ich Euch herumführen?«
Genevieve nickte, gespannt darauf, was er ihr zeigen wollte. Sie folgte ihm durchs Zimmer und blieb hinter ihm stehen, als er vor einer weiteren Tür innehielt.
»Der Reliquienschrein«, erklärte er mit einem selbstironischen Lächeln. »Betreten auf eigene Gefahr.«
Zögernd öffnete Genevieve die Tür und spähte hinein. Ihr blieb die Luft weg, als die Fackeln an den Wänden von selbst erstrahlten und einen schmalen Raum erhellten, der sich anscheinend über die ganze
Weitere Kostenlose Bücher