Das Erbe in den Highlands
ging ich auch all der Sinne verlustig, die Ihr für so selbstverständlich haltet.«
Genevieve erkannte ihre Chance. Jetzt musste sie ihn fragen, bevor Kendrick die Geduld verlor und sein Schwert zog.
»Aber ich höre Ihre Stimme«, entgegnete sie. »Wie können Sie ohne Stimmbänder sprechen?«
»Oh, das ist ziemlich kompliziert. Ich glaube, ich verstehe es selbst nicht so recht.«
Sie wartete. Schließlich besaß sie einen College-Abschluss. So schwer war das doch sicher nicht zu begreifen.
Kendrick lächelte sie an, als wüsste er ganz genau, was sie dachte. Ihr wurde ganz anders. Er konnte doch wohl nicht ihre Gedanken lesen ...
»Seht, die Essenz eines Menschen ist etwas sehr Gewaltiges. Wenn der Geist in einer sterblichen Hülle lebt, fühlt er sich eingeengt und gefesselt. Er wehrt sich zwar nicht dagegen, denn vieles spricht für die Vergnügungen, die einem der Körper verschaffen kann.«
Genevieve lächelte vor sich hin. Sie hatte das Gefühl, dass Kendrick diese Vergnügungen zu Lebzeiten in vollen Zügen genossen hatte.
»Man zahlt einen Preis dafür, in einem Körper beherbergt zu sein«, fuhr Kendrick fort. »Vergleichbar mit einem Mann, der in Rüstung weniger Bewegungsfreiheit hat als einer ohne.«
»Weiter.« Warum hatte er nie ein Buch darüber geschrieben? Wie viel Geld er mit diesen Enthüllungen hätte verdienen können!
»Habe ich wohl«, sagte er. »Kein Bestseller, fürchte ich.«
Genevieve blieb die Luft weg. Ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. »Sie können meine Gedanken lesen?«
»Der Geist ist sehr mächtig, Mylady. Ihr nutzt nur einen kleinen Teil des Euren. Ich verfüge über die Gesamtheit meiner Fähigkeiten. Aber was würde ich nicht dafür geben, diese Kräfte einzutauschen, um ein Rosenblatt an meiner Wange fühlen oder den Geruch von salziger Luft riechen zu können. Die Fähigkeit, Eure Gedanken zu lesen, ist ein armseliger Ersatz für das, was Euch möglich ist.«
»Dann sollte ich wohl besser aufpassen, was ich in Ihrer Gegenwart denke.«
»Ich weiß bereits, dass Ihr mich für übellaunig haltet, für unglaublich arrogant und ... wie habt Ihr mich noch genannt?« Er lächelte sie selbstzufrieden an. »Atemberaubend gut aussehend?«
»Da hatte ich wohl gerade einen schlechten Traum.«
Sein kehliges Lachen klang trotz ihrer frechen Bemerkung kein bisschen beleidigt. Als sich seine Heiterkeit gelegt hatte, lehnte er sich zurück und lächelte sie an. Oh, dieses Lächeln war nachgerade tödlich. Genevieve wurde ganz schwindlig.
»Ihr hattet so einige Albträume, seit Ihr hier ankamt, und ich möchte mich fast dafür entschuldigen. Und um Eure erste Frage zu beantworten, was Ihr hört, ist die Vorstellung meiner Stimme, die ich in Eurem Kopf erzeuge. Ein ziemlich einfaches Unterfangen.«
Wenn man ein Gespenst ist , dachte sie trocken.
»Genau. Nun sagt mir, Mylady, wie riecht der Garten? Er sieht aus, als duftete er wunderbar.«
In Genevieves Kehle saß ein dicker Kloß, und sie konnte kaum schlucken. So vieles war für sie selbstverständlich: zu spüren, wie die Frühherbstsonne ihr Haar und ihren Rücken wärmte; der zarte Duft der Rosen vor ihr; die Steinbank, die sich unter ihren Händen rau anfühlte. Nachdem
Kendrick all das schon so lange versagt war, wie sollte er da nicht rachsüchtig sein?
»Ihr sollt mich nicht bemitleiden«, sagte er und runzelte die Stirn.
»Halten Sie sich aus meinen Gedanken raus«, gab sie zurück und verzog das Gesicht. »Tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich sein.«
Er winkte ab. »Ich besitze keine Gefühle, die man verletzen könnte, schon vergessen? Ich hätte es Euch nicht erzählen sollen. Ich werde versuchen, nicht so oft zu lauschen. Bitte beschreibt mir diesen Tag.«
»Er duftet nach Rosen und Erde«, begann sie zögernd. »Und eine Spur vom Rauch aus dem Kamin kann ich auch riechen. Hier im Schatten ist es beinahe frostig, und die Bank fühlt sich ziemlich kalt an.« Sie zuckte mit den Schultern. »Das war’s so in etwa, glaube ich.«
»Aha«, nickte er. »Wie hübsch, in der Tat.«
Die Sonne wurde vom Heft seines Schwertes reflektiert, und Genevieve schrak etwas zurück. »Warum tragen Sie dieses Ding mit sich?«
»Gewohnheit, denke ich. Als ich noch lebte, war es stets in meiner Reichweite, auch wenn ich schlief. Jederzeit die Waffe zur Hand zu haben, hat mein Leben öfter gerettet, als mir zu erinnern lieb ist.«
Die Vorstellung, dass der Mann ihr gegenüber in einer anderen Zeit, ja
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