Das Erbe von Glen Crannach
die Hände aus, um ihren Fall zu bremsen, aber da war nichts.
“Versuchen Sie, sich umzubringen?”
Camilla spürte kräftige Hände um ihre Taille, wurde herumgedreht, und im nächsten Moment stand sie wieder sicher auf den Füßen.
“Das war ein beachtlicher Abgang”, stellte Greg amüsiert fest. “Schade, dass Sie am Ende alles verdorben haben.”
Sie atmete ein paarmal tief durch. Eigenartigerweise fand sie seinen distanzierten Humor leichter zu ertragen als die Worte der Besorgnis, die sie eigentlich erwartet hatte.
“Danke”, sagte sie schwach. “Einen Moment lang dachte ich wirklich, es wäre um mich geschehen.”
“Das erging mir nicht anders. Ich befürchtete, Eric würde seine Braut verlieren.”
Bei der Erwähnung Erics schaute Camilla unwillkürlich auf. Diesmal waren Gregs Augen auf gleicher Höhe mit ihren, denn er stand eine Stufe unter ihr. Im selben Moment merkte sie, dass er sie mit einer Hand noch immer festhielt.
Sicher nur, um mich zu stützen, versuchte sie, sich einzureden, aber ein Flackern in seinen Augen ließ sie ahnen, dass sie sich täuschte.
“Das können wir doch wirklich nicht zulassen, nicht wahr?”, meinte er.
Sie schluckte und fragte sich, weshalb sie sich nicht einfach abwandte und vorsichtig nach oben ging. Dann wäre sie in Sicherheit. Doch sie rührte sich nicht.
“Was meinen Sie?”, hörte sie sich fragen.
“Dass der arme Eric vor dem Altar wartet, während seine Braut in einer Krypta im schottischen Hochland liegt.” Dabei lächelte Greg ein wenig schief, streckte die freie Hand aus und berührte Camillas Haar.
Camilla erstarrte. Sie konnte kaum noch atmen, ihr war plötzlich eigenartig warm, und sie sah nicht mehr richtig. Plötzlich schienen all ihre Sinne auf Greg und die Gefühle konzentriert zu sein, die er in ihr auslöste.
Langsam zog er sie an sich, und der Geruch nach Leder und ein anderer, unverwechselbarer Duft stiegen ihr in die Nase. Obwohl Camilla seinem Blick kaum noch standhalten konnte, brachte sie es nicht fertig, fortzuschauen, als Greg sich vorbeugte und seine Lippen auf ihre presste.
Erregung durchzuckte Camilla, und ein überwältigendes Gefühl der Freiheit und zugleich Zugehörigkeit stieg in ihr auf. Leise seufzend lehnte sie sich gegen ihn und erwiderte seinen Kuss.
Es verging eine kleine Ewigkeit, bis Greg Camillas Lippen wieder freigab.
“Oh du …”, flüsterte er, streichelte ihr den Rücken, tastete sich langsam weiter und fand schließlich ihre Brüste.
Die intime Liebkosung ließ Camilla zur Vernunft kommen und beschämt zurückschrecken. Die zärtlichen Hände und die leidenschaftlichen Lippen gehörten einem Mann, den sie kaum kannte! Einem Mann, der kein Recht hatte, sich solche Freiheiten herauszunehmen. Es gab nur einen Menschen auf der ganzen Welt, der das durfte.
Camilla zitterte am ganzen Körper, als sie sich von Greg löste.
“Nein, ich will das nicht”, sagte sie heiser, drehte sich um und hetzte blindlings die Stufen hinauf. Zum Glück erreichte sie die Lichtung unversehrt.
Doch selbst bei hellem Tageslicht schlug ihr Herz noch zum Zerspringen, und all ihre Nervenenden schienen zu vibrieren. Noch nie im Leben hatte sie so auf den Kuss eines Mannes reagiert! Sie erschrak. Das konnte nicht wahr sein! Nicht einmal bei Eric?
Sie wurde plötzlich von kalter Furcht gepackt. Nein, nicht einmal Erics Küsse hatten solche hemmungslose Leidenschaft in ihr geweckt. Und plötzlich erkannte sie, in welch schrecklicher Gefahr sie sich befand.
4. KAPITEL
Auf dem Rückweg von der Ruine der Kapelle zum Schloss wechselten Camilla und Greg kein Wort. Camilla lief durch das unwegsame Gelände voraus, so schnell sie konnte. Dabei kümmerte sie sich nicht darum, ob ihre Schuhe Schaden nähmen. Sie wagte nicht, sich nach Greg umzusehen, hörte ihn aber dicht hinter sich. Kein Wunder – mit seinen langen Beinen bereitete es ihm nicht die geringste Mühe, Schritt zu halten. Deutlich spürte Camilla seine Blicke im Nacken. Nur zu gut konnte sie sich die erheiterte Miene vorstellen, die er jetzt zur Schau trug.
Er findet meine panische Reaktion auf seinen Annäherungsversuch zweifellos sehr amüsant, dachte Camilla und verwünschte ihn im Stillen. Nie wieder werde ich mich so in die Falle locken lassen, schwor sie sich.
Als sie den Wald endlich hinter sich gelassen hatten, spürte sie, wie ihr Herzschlag sich allmählich normalisierte. Langsam öffnete sie die zu Fäusten geballten Hände, die sie in die
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