Das Erbe von Glen Crannach
Hosentaschen geschoben hatte. Bei der Ankunft am Schloss – immer noch im Gänsemarsch – brannten auch Camillas Wangen nicht mehr, und sie fühlte sich ruhig und gefasst. Auf halbem Weg über den Vorplatz, der zum Haupteingang führte, blieb sie stehen und wandte sich zu Greg um.
“Wenn es Ihnen recht ist, würde ich jetzt gern die Sammlung noch einmal eingehend betrachten. Vorzugsweise allein”, fügte sie hinzu, um einen gleichmütigen Tonfall bemüht. “Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.”
“Überhaupt nichts”, antwortete Greg. Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen, während er auf Camilla hinunterschaute. “Allerdings werde ich Sie nach oben begleiten. Der Schlüssel, wissen Sie. Ich fürchte, dass ich Ihnen den nicht geben kann. Und wenn Sie darauf bestehen, mit der Sammlung allein zu bleiben, muss ich Sie leider einschließen.” Er zog die Augenbrauen hoch, als wolle er sich entschuldigen. “Darauf besteht die Versicherungsgesellschaft. Deren Regeln sind außerordentlich streng.”
Camilla betrachtete ihn ausdruckslos. “Das macht mir nichts aus. Ich habe Verständnis dafür, dass Sie Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen.” Das spitzbübische Funkeln in seinen Augen verriet ihr, dass er den Gedanken genoss, sie zu seiner Gefangenen zu machen – eine Vorstellung, die sie ärgerte und die ihr gleichzeitig Unbehagen bereitete. “Solange Sie mich wieder herauslassen”, fügte sie mit aufgesetzter Leichtigkeit hinzu.
“Selbstverständlich.” Greg hielt ihren Blick einen Moment fest und schmunzelte dann. “Was hätte ich denn von Ihnen, wenn Sie auf ewige Zeit zusammen mit einem frühkeltischen Schatz eingesperrt wären? Gar nichts”, beantwortete Greg seine eigene Frage. “Keine Sorge, Miss Holden. Ich werde Sie wieder herauslassen.”
Seine Versicherung beschwichtigte Camilla keineswegs. Während sie erst zu ihrem Wagen ging, um die Kameratasche zu holen, und Greg dann durch die Halle und die Treppe hinauf folgte, war Camilla versucht, ihm auseinanderzusetzen, dass sie keinen Wert darauf legte, in irgendeiner Weise zu seiner Zerstreuung beizutragen, wie er eben angedeutet hatte. Andererseits konnte man voraussetzen, dass er das bereits wusste. Er hatte die Bemerkung vermutlich nur gemacht, um sie zu ärgern.
Oben angelangt, schloss er die Tür auf und trat zur Seite, um Camilla vorbeizulassen.
“Wann soll ich denn wiederkommen?”, erkundigte er sich.
“Ich werde voraussichtlich zwei Stunden brauchen.” Camilla schaute auf die Uhr. “Bis etwa halb zwei bin ich sicher fertig.”
Er nickte. “Dann hole ich Sie um halb zwei wieder ab.” Seine Hand lag auf der Klinke. “Ich verlasse Sie also jetzt. Seien Sie brav, bis ich zurückkomme.” Damit schloss er die Tür, und kurz darauf hörte Camilla, wie der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde. Es dauerte nicht lange, bis Gregs Schritte verklungen waren. Sie atmete auf und betrachtete die zahlreichen Wandschränke, die die keltischen Schätze bargen. Jetzt hatte sie also zwei ganze Stunden Zeit, die Sammlung zu studieren, Notizen und Skizzen anzufertigen und Polaroidaufnahmen zu machen. Sie beugte sich hinunter, um Notizblock und Bleistift aus der Tasche zu nehmen. Zwei Stunden lang würde kein Greg McKeown da sein, der sie aus der Fassung brachte und ihr im Weg herumstand. Welch herrliche Vorstellung!
Camilla seufzte erleichtert. Wenigstens für einige Zeit konnte sie ihn aus ihren Gedanken verbannen.
Camilla war völlig in ihre Aufgabe vertieft. Mit der Fantasie der echten Künstlerin empfand sie die Geschichte der Kostbarkeiten nach, von denen sie umgeben war, und all ihre Sinne und Gedanken waren darauf gerichtet, wie sie die keltischen Schätze am besten darstellen könnte.
Bewundernd betrachtete sie einen gedrehten silbernen Armreif und einen alten Hochlanddolch. Wenn sie wie jetzt die Gelegenheit hatte, mit so kunstvoll geschaffenen Gegenständen zu arbeiten, freute sie sich besonders, dass sie diesen Beruf gewählt hatte.
Ich habe großes Glück gehabt, dachte sie nicht zum ersten Mal. Ich habe mir mein Leben so aufgebaut, wie ich es mir gewünscht habe, sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Ich werde nicht zulassen, dass irgendetwas mich von dem einmal gewählten Weg abbringt.
Überhaupt nichts, schon gar nicht Greg McKeown, schwor sie sich, als sie unvermittelt sein Gesicht vor sich sah. Ungeduldig verdrängte sie das Bild und zwang sich, sich wieder auf ihre Aufgabe zu
Weitere Kostenlose Bücher