Das Erbstueck
Muscheln und blaue Blumen, den alten Dreck, Schluss aus.«
Ich hatte keine Ahnung von seiner Arbeit. Vielleicht wusste auch Oma nicht mehr. Er fuhr jeden Tag mit seiner Tasche zur Königlich Dänischen Porzellanfabrik in Frederiksberg; er kam nach Hause, aß und verschwand in seinem Arbeitszimmer. Das Porzellan, das schon damals in der Vitrine gestanden haben
muss, war für ein Kind uninteressant. Omas Verachtung, an die kann ich mich erinnern: »Ein schnöder Kopist ... «
Wenn sie mehrere Stunden getrunken hatte und sich nur noch sehr langsam bewegen konnte, ging sie ins Haus und holte etwas zu Essen. Dann rief sie, ich müsste mit ihr essen. Müsste. Es war immer dasselbe. Gin und Tonic verursachten immer denselben Hunger, auf Schwarzbrot mit weißem Schmalz. Das Schmalz enthielt kleine knusprige Speck- oder Zwiebelstücke. Sie beschmierte das Schwarzbrot großzügig damit. Nach Norwegen schickte sie jedes Jahr zu Weihnachten Büchsen, Dosen, mit wei ßem Schmalz. Dort gab es das nicht zu kaufen. Ich fand es wunderbar, während ich Butter verabscheute. Die ganze Mundhöhle wurde fast gelähmt, wenn sich beim Kauen das Schmalz wie eine Haut darüber legte. Sein Geschmack war mild und glatt, wie der von rohem Eigelb. Und abends wurde es immer sehr spät, aber Mutter schickte mich nicht ins Bett. Wenn Oma trank, durfte ich lange aufbleiben, hin und her laufen, mehr Eis holen, im Schrank auf dem Flur nach einer weiteren Zigarettenpackung suchen. Dort lagen in Zellophan eingeschweißte Stangen.
Plötzlich wusste ich, warum ich die Wand seegrün streichen wollte, damit sie zum Bild passte: Omas Zigarettenpackungen waren seegrün gewesen. Sie schrieb mit seegrüner Tinte. Obwohl sie Rosa liebte, war Seegrün die Farbe, die ich am stärksten mit ihr verband. Während Opa blau war. Kobaltblau.
Ich ging ins Wohnzimmer und schaute mir den Porzellanschrank an. Er war bis zum Rand mit von Opa bemaltem Porzellan gefüllt, das sie nicht mit den Namen von erwünschten Erben ausgezeichnet hatte. Sicher hatte sie sich dabei allerlei gedacht, hatte sagen wollen: Ist mir egal, wer das bekommt, greift einfach zu, für mich hat es keinen Wert, das ist einfach blödes Porzellan, das Mogens bemalt hat, ich mag mir nicht mal überlegen, wer es erben könnte ... obwohl sie gewusst haben muss, wie wertvoll diese Sammlung war.
Die Gemälde waren keinen roten Heller wert, abgesehen von den Gipsrahmen. Ib hatte erzählt, irgendwelche Verwandten von Omas Familie mütterlicherseits hätten sie gemacht, Leute, die sie nie kennen gelernt hatte. Als Kind hatten sie keinen Kontakt gehabt. Aber Oma hatte eine Todesanzeige gesehen und war dann auf der Beerdigung aufgekreuzt und hatte sich eine kleine Erbschaft aus einem Nachlass erjammert, auf den keine direkten Erben Anspruch erhoben. Es war ein überwältigender, reichhaltiger Nachlass, der trotzdem nur gerade die Schulden in der Bank decken konnte, wie sie dort erfuhr. Aber sie bekam sehr viele Gemälde. Die Anwälte waren sicher erleichtert, als sie den Kram los waren. Der Bank gönnten sie die möglichen Einnahmen nicht. Die Bilder waren schön, im Stil von Monet, mit schwimmenden Seerosen und Sommerschatten durch Laubwerk und Pavillons, die sich in kleinen Buchten spiegelten, und Menschen mit wehenden Gewändern, die kleine Hunde an der Leine führten und mit Rüschen besetzte Sonnenschirme in der Hand hielten. Es gab auch mehrere Pferdebilder. Pferde mit Reitern, Pferde vor einem Wagen, Pferde, die einen Pflug über einen Acker zogen. Aber zweifellos waren diese Bilder ohne Wert. Den amateurhaften Stil erkannte selbst ich. Es waren Liebhabermalereien, entstanden aus einer entspannten oder gelangweilten Stimmung heraus, keine Seele, die nach individuellem künstlerischem Ausdruck schrie, hatte sie sich abgequ ält.
Ein seltsames Testament – das dem Tand größere Aufmerksamkeit zollte als dem Porzellan. Sie musste diese Bilder geliebt, sie als eine Art wehmütigen Sieg über eine Kindheit und eine Herkunft betrachtet haben, die sie niemals besitzen konnte. Ich weiß, dass sie 1922 von zu Hause weggelaufen war, mit fünfzehn. Das hatte sie mir nach dem Tod meines Großvaters einmal geschrieben, nachdem Mutter es nicht mehr über sich brachte oder es nicht mehr nötig hatte, Kontakt zu ihr zu halten. Sie schrieb es fast als Aufforderung – ich war damals an die siebzehn
–, als solle ich ihrem Beispiel folgen, ich weiß nicht. Hätte ich durchbrennen sollen, um zu ihr zu
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