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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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alle ganz anders, als unsere Mutter war.«
    »Mir gefällt es.«
    Sie richtete sich auf und sagte wütend: »Genau! Da hast du’s! Du mit deinen Liebhabern ...«
    »Stian trifft sie nie. Stian hat es gut«, sagte ich.
    »Ja, ja, ja ... Du bist deiner Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Und jetzt hast du das Bild. Zu dir passt es wirklich gut.«
    Da stand sie. Meine Mutter, meine Erzieherin, meine Verleugnerin.

    Oma erschuf mich in ihrem Bild. Sie erschuf mich meine ganze Kindheit hindurch. Es gab mir ein Gefühl von Wärme, zu wissen,
dass ich ihre Therese war, auch dann, wenn ich nicht mit ihr zusammen sein konnte. Kindheit war für mich deshalb eher eine Idee als eine Wirklichkeit, ein schwarzes Loch aus definiertem Leben; für jemanden da zu sein.
    Die Pakete, die sie schickte, die wie mit Liebe parfümiert waren: Sie waren wichtiger als Mutter. Mutter sagte, weg da, wenn sie den Boden putzte und der Wischlappen auf meine Füße zusteuerte. In einer solchen Situation wird man nicht gesehen. Ich bekam jeden Morgen saubere Kleider, ich bekam mein Essen serviert, und ab und zu gab es vor dem Schlafengehen ein Märchen von Andersen, und ich weiß, dass sie mich liebte und mich vermutlich küsste und in den Arm nahm, ohne dass ich mich daran erinnern könnte. Denn es war wichtiger für Mutter, mich zu erziehen, als mich zu sehen, und darüber sollte ich mich doch eigentlich freuen. Sie hat mich ganz vorzüglich erzogen, glaube ich.

    Lotte ging los, um für das Frühstück einzukaufen. Ich brachte Stian für seinen Mittagsschlaf ins Bett. Er war stundenlang auf gewesen, während ich noch geschlafen hatte. Ich betrachtete Stapel von Gemälden und fragte mich, warum sie unbedingt sofort von der Wand genommen worden waren, wo sie ja doch eine Weile hier liegen bleiben würden. Ib war in Papiere vertieft. Die Kommode quoll von Papieren über. Er rauchte Zigarren und summte vor sich hin, während er eine Schachtel nach der anderen durchsah.
    »Da bist du ja«, sagte er. »Sieh mal, ein Bild von dir als kleines Kind! «
    Ein Baby. Im Arm einer jungen Mutter. In ihrem Arm. Jünger als ich heute war sie, als dieses Bild aufgenommen wurde. Mit Füllfederhalter und in dunkelblauer Schnörkelschrift war direkt auf das Foto geschrieben: Für Mutter von Therese und Ruby.
    »Willst du das haben?«, fragte er.
    »Aber sicher.«

    »Ich finde bestimmt noch andere. Sie hat ja alles aufbewahrt.«
    »Gefällt dir das Bild, das ich bekommen habe?«
    Er schaute zu mir auf. »Ja, natürlich.«
    »Mutter findet es schrecklich.«
    Er blies Zigarrenrauch aus dem Mundwinkel.
    »Deine arme Mutter«, sagte er. »Sie war immer im Weg. Alles war ihre Schuld.«
    »Weil Oma im Theater aufhören musste?«
    »Ja, und weil sie in der Ehe gefangen war. Gefangen. So nannte sie es. Und darin lag nicht einmal eine Portion Mutterwitz. «
    Er lachte. »Aber scheiß drauf. Jetzt ist das doch zu Ende. Sie ist tot, und wir können weiterleben. Möchtest du einen Schnaps?«
    »Ja, klar.«
    »Die Flasche steht in der Küche. Bring mir auch einen mit. Und dann sieh einfach alle Schränke und Schubladen durch, hol alles, was du findest, heraus, damit wir uns einen Überblick verschaffen können. Alles muss weg, und das Haus muss verkauft werden. Sie wird in harte Währung gewechselt, die alte Hexe.«

    Ich stellte die Flasche neben Ib und bekam als Gegengabe drei weitere Bilder von mir. Ein neues Babybild, eins, auf dem ich in der einen Hand eine kleine Puppe und in der anderen einen Teddy hielt. Ich war niedlich und schäkerte offenbar mit dem Fotografen. Eine vier Jahre alte Poseurin. Schon damals meiner Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Und ich fasste einen Beschluss: Ich würde stehlen. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich wollte nicht, dass die anderen von meinen Erinnerungen erfuhren. Ich ging zu dem schlafenden Stian und starrte unsere Reisetaschen an. Darin war Platz genug. Sie waren in aller Eile gepackt worden und durchaus nicht voll. Ich ging zu dem Schrank, wo die Knopfschachtel stand, das wusste ich. In der Toilette stopfte ich Klopapier in die Schachtel, damit die Knöpfe nicht klapperten, und steckte die Schachtel dann, von Ib beobachtet, in die Tasche.

    Ich ging langsam durch das Haus. Sie würden sich nicht einmal an die Hälfte der Dinge erinnern, die es hier gab. Würden nicht danach fragen. Sondern glauben, sie habe sie weggeworfen. Das Manneken Pis stand an seinem Stammplatz unten im Schrank, und die Batteriekammer war

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