Das Erbstueck
Gott mich töten, wenn ich etwas anstelle?«
»Nein, wie kommst du denn auf die Idee? Du bist ein Kind, Mogens.«
»Aber wenn ich erwachsen wäre und in Sodom lebte. Oder in einer der anderen Städte in der Nähe, wo sich die Erde öffnete und alle von Rauch und Feuer verschlungen wurden.«
»Ja, dann ...«
»Würde ich getötet werden.«
»Nein, ich glaube, du wärst einer von denen, die eine von Loths Töchtern heiraten und rechtzeitig gewarnt werden«, sagte der Vater und lächelte, erleichtert über seine eigene Antwort.
Die Stunden im Zimmer des Vaters waren für die anderen heilig. Niemand störte sie. Durch die Tür zu gehen und ins Leben des Hauses einzutreten, war wie ein Wechsel von einer Farbe zur anderen. An manchen Tagen tat es gut herauszukommen. An anderen sehnte er sich sofort nach der Stimmung im Studierzimmer, mit der Tischplatte und den Büchern, dem Portrait von Bischof Boldt an der Wand neben dem kleinen Kruzifix, der Friesdecke, die stach und kitzelte, und nach der großen Gestalt des Vaters, die sich nur ihm widmete, in Gedanken und Reden. An einzelnen Tagen kam Mogens sich unendlich vom Glück begünstigt vor, weil er einen solchen Vater hatte. An anderen hätte er lieber Strohhalme in Schweinerüssel gesteckt und gesehen, wie sie eine Dusche in die Sonne niesten, die einen Regenbogen enthielt.
E s war ein heißer Tag ohne den üblichen Wind, als Frode Nicolai wissen wollte, was Mogens im Studierzimmer denn eigentlich lerne. Frode war klein, rundlich und dunkel, seine Finger waren immer schmutzig. Der Schmutz bildete um jeden Nagel ein perfektes Viereck. Er war der einzige Bruder, in dessen Gesellschaft Mogens sich wohl fühlte, vor allem seit er und der Vater die Geschichte von Jakob und dessen zwölf Söhnen gelesen hatten. Er wollte gern mit Frode über Neid und Missgunst sprechen. Für ihn waren das neue Gedanken, überraschend und beunruhigend.
»Ich lerne schreiben, und wir lesen in der Bibel, und bald fangen wir mit Latein an, und der, der das Buch über Latein geschrieben hat, hat fast den gleichen Namen wie du, er heißt Johan Nicolai«, sagte Mogens.
Sie hockten vor der weiß gekalkten Wand im Schatten und bauten Pyramiden aus kleinen Steinen. Sie spuckten die Steine an, damit sie aneinander klebten. Es war jetzt schon seit über einer Woche so heiß. Alles stand still, und alte Leute starben wie Fliegen. Die Mutter hatte in fremden Häusern alle Hände voll zu tun, sie musste trösten und Suppe austeilen. Sie half den Aller ärmsten auch mit Fünförestücken, die blank geputzt auf den Augen der Toten zu liegen hatten. Die Allerärmsten konnten keine zehn Öre entbehren. Sie erzählte abends davon, und Elise wusste ebenfalls, wer gerade gestorben war. Und als auch an diesem
Tag die Luft wieder stillstand, hatte Elise schon beim Frühstück gesagt, jetzt kenne sie mindestens zwei, die es in diesem Jammertal nicht mehr aushalten könnten. Elise war unverheiratet geblieben, sie stand noch immer bei ihnen in Diensten und schlief in der Küche auf der Ausklappbank, was ihr glücklicherweise die Schmerzen einer Geburt erspart hatte. Carlchen, der jetzt größer war als seine Mutter, sagte, das liege daran, dass sie nur ein Ohr habe. Sie versteckte dieses seltsame knorpellose Loch hinter Haaren und Kopftuch, Mogens hatte es noch nie gesehen. Nicht einmal bei einer solchen Hitze wie jetzt nahm sie ihr Kopftuch ab, vermutlich hatte Carlchen also Recht.
Mogens und Frode hatten auf Geheiß der Mutter für den Totengräber Wasser zur Kirche gebracht. Es wurden so viele neue Gräber benötigt, dass jeder Tag zu Hilfe genommen werden musste. Der Totengräber war von Kopf bis Fuß schweißnass, er hämmerte Bretter an den Grabwänden fest, damit der Sand nicht einbrach. Seine Augen sahen aus wie tote Kabeljaublicke, leer glotzend und blassblau. Er trank sein Wasser so rasch, dass mindestens die Hälfte über seinen Brustkasten lief, und warf dann den Blechbecher zu ihnen hoch, ohne sich auch nur zu bedanken.
»Warum musst du so viel lernen?«, fragte Frode.
»Bist du neidisch?«, fragte Mogens.
Frode glotzte ihn nur an.
»Jakob hatte zwölf Söhne, aber er liebte Josef am meisten von allen«, sagte Mogens.
»Das hat Mutter uns vorgelesen«, sagte Frode.
Daran konnte Mogens sich nicht erinnern. »Wirklich?«
»Ja«, sagte Frode. »Worauf die anderen Josef an einen Sklavenhändler verkauft haben, und so kam er zu Potifar, und Potifars böse Frau riss ihm den Kittel vom Leibe, weil
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