Das Erbstueck
gebracht. Der Herr wollte sie vor ihrer Zeit bei sich haben, diese gesegnete gütige Seele. Jetzt ist sie vereint mit ihrem Sohn, und mit dem Herrn.«
Gleichzeitig wirkte der Vater seltsam ungerührt und nahm an allem Anteil, was vor sich ging. Erst unmittelbar vor der Beisetzung brach er zusammen. Das Leben schien seine Augen zu verlassen, als der frisch getischlerte Sarg strahlend mitten in der Kirche stand und nach frischem Holz und Öl duftete. Er hatte doch eben erst hier gesessen, so kam es ihm vor, mit einer lebenden und trauernden Christina an seiner Seite. Seine Haut wurde plötzlich grau, seine Lippen wurden leicht bläulich. Er konnte nichts sagen. Der Küster Sophus musste ihm nach Hause helfen und ihn ins Bett bringen. Mogens musste zwei Wochen warten, bis der Vater wieder auf den Beinen war. Inzwischen schickte Bischof Boldt einen jungen Geistlichen durch den Sprengel Vanko, der die klerikalen Pflichten des Probstes übernehmen sollte.
Elise weinte nur. Mogens ging nicht in die Schulstube. Er war seit der Erkrankung seiner Mutter nicht mehr dort gewesen. Er wollte Jakobine nie mehr wiedersehen, wollte nicht sehen, dass sie lebte und seine Mutter nicht. Bei Jakobine wäre es eine viel passendere Strafe gewesen. Er las die drei Bände von Adam Homo, Wort für Wort, er half beim Füttern der Hühner und der Schweine, und er ging mit zitternden Knien über den Strand und durch die windgebeutelte Heide und schaute sehnsüchtig hinunter in die Torfgräben. Er aß nicht, seine Träume steckten ihm in der Kehle, und die Gerüche und Geräusche des Hauses.
Als der Vater endlich aufstand, waren seine Haare weiß geworden. Auch sein Bart wies sichtbare graue Streifen auf. Seine Hände zitterten. Sie waren dünn, die Gelenke ragten hervor wie knotige kleine Kartoffeln. Seine Augen waren immer noch tot, er behauptete jedoch, wieder gesund zu sein.
Mogens wartete eine Woche, bis er das dann auch glaubte. Der Vater war gesund, auch wenn er zwanzig Jahre älter geworden war. Noch immer hatte er seinen Gott.
»Ich bin kein Geistlicher, mein Vater.«
Er spürte, wie sein Puls bis in seinen Kopf hinein hämmerte, bis in die Handgelenke, in den Magen. Der Atem steckte ihm im Hals fest. Ein Hahnenkamm versuchte, sich davorzuschieben.
»Was sagst du, Mogens Christian, mein Knabe?« Der Vater saß unter der Lampe und las, und dabei wiegte er seinen Oberkörper ganz leicht hin und her. Jetzt unterbrach er diese Wiegebewegung. Die Augen, die er dem Jungen zukehrte, waren feucht und halb geschlossen.
»Ich bin kein Geistlicher, mein Vater.«
»Nein, nein, das bist du nicht ... noch nicht.«
Der Vater erhob sich mühsam und verschwand im Schlafzimmer, dann kam er mit einem Briefumschlag zurück und setzte sich wieder.
»Ehe deine Mutter ... mit ihrem Erlöser vereint wurde, am Tag vor ihrem Tod, hat sie mich gebeten, das hier vorzubereiten. Für euch alle ... vier. Das hier ist für dich.«
Mogens nahm den Briefumschlag entgegen. Er war offen und vom Vater mit Mogens’ Namen beschriftet.
Mein geliebter Sohn Mogens, Du hast mir groszes Glück gebracht, und ja, Du kannst fliegen, Deinem Gewichte zum Trotz. Weiszt Du noch? Wisse, dasz Deine Mutter Dich allzeyt geliebt hat und es immer thun wird. Gott segne Dich, im Himmel sehen wir uns wieder. Deine Mutter.
Der Briefumschlag enthielt außerdem einen großen, fremden Geldschein, der doppelt zusammengefaltet war. Mogens hatte noch nie einen Hundertkronenschein gesehen. Jetzt geschah das zum ersten Mal, durch einen vagen Schleier, den er ganz schnell abwischte.
Der Vater sagte: »Deine Mutter ist jetzt glücklich, sie ist bei ihrem Gott.«
»Wenn meine Mutter wieder froh ist ...«
»Deine Mutter ist im Himmel, mein Sohn.«
»Wenn meine Mutter wieder froh ist, dann kann ich aufbrechen« , sagte Mogens.
»Und zwar nach Malding«, sagte der Vater. Mogens blieb die Antwort erspart.
Am nächsten Tag schrieb der Vater zwei Briefe. Zuerst einen an Probst Herlovsen, um diesem die Verantwortung für den Konfirmandenunterricht seines Sohnes zu übertragen. Danach einen an den Leiter der Gelehrten Schule in Malding, in dem er um Mogens’ baldige Aufnahme bat. Das Schulgeld für ein Jahr werde der Junge selber mitbringen, ein Erbe seiner unlängst verstorbenen Mutter. Er schilderte auch Mogens’ fachliche Fortschritte. Er legte eine Liste über die gemeinsam studierten Themen bei. Es wurde eine lange Liste. Er rief Mogens, legte sie ihm vor und lächelte
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