Das Erbstueck
mit Jakobine zusammen war, glaubte er trotzdem, das gedämpfte, ferne Gebrüll eines wütenden Gottes zu hören, der es sich nicht bieten lassen wollten, dass jemand ihm den Rücken kehrte, doch jetzt war es zu spät. Er war inzwischen dreizehn, sie war vierzehn. Und das Licht im Stall fiel wie dünne Streifen der Goldkrone der Jungfrau Maria durch die Bretterwände. Sie schmeckte nach Milch. Ihr Mund schmeckte nach Milch, ihre Haare nach Butter. Ihre Haut war salzig wie das Meer, er hatte das Gefühl, an Bernstein zu lecken. Er lutschte an ihren Ohrläppchen, bis sie glänzten, und wälzte sie durchs Heu, bis sie zwischen seinen Fäusten mit weißen Perlzähnen lachte. Er war immer dünn und bleich gewesen - jetzt entsprach er in jeder Hinsicht seiner Größe, und in ihrer Gesellschaft wurde er zum Goliath. Er durfte mit ihr machen, was er wollte, bis hinter seinen Augen eine Sonne brannte und alles losbrach, aus ihm hinausströmte wie Sand zwischen den Fingern, und roch wie Tang am Ebbestrand. Es brachte ihn zum Lachen, wenn sie behauptete, ihn zu lieben, weil er Hilfslehrer war und außerdem ungewöhnlich groß und erwachsen für sein Alter. Und eine lange, träge Stunde, nachdem das Heu unter ihnen feucht geworden war,
konnte er den Vater und Gott aus seinen Gedanken verdrängen. Und die Mutter. Was sie sagen würde, wenn sie ihren Jungen so sehen könnte. Jakobine hatte die gleiche Haarfarbe wie sie, ihre Knöchel waren jedoch dünner. Er umfasste sie mit der Hand und dachte an die braunen, sehnigen der Mutter; wie weit sie gelaufen waren, wie stolz sie auf ihn war.
Sich das Heu von den Kleidern zu bürsten, wurde zu einer Besessenheit. Er glaubte immer, doch noch einen Halm übersehen zu haben. Und in der Schule hatte er Angst, die anderen könnten das sehen. Denn Jakobine saß auch da. Sie hatte fast die scheußlichste Schrift von allen, und sie lachte laut und schrill, wenn er das kommentierte und korrigieren wollte. Und wenn sie sich im Anschauungsunterricht die Bilder ansahen, kam es vor, dass sie auf einen Mann und eine Frau zeigte, die Arm in Arm gingen, um dann Mogens anzustarren, aus viel zu strahlenden Augen, sich eine Haarsträhne in den Mund zu stecken und zu kichern.
Es war Jakobine, die ihm erzählte, dass Carlchens Freundin ein Kind bekommen hatte.
»Und Probst Thygesen weiß Bescheid, er hat ihr Geld gegeben.«
»Weiß meine Mutter es auch?«
»Vielleicht.«
Aber das glaubte er nicht. Es wäre zu ungeheuerlich. Er wollte nicht einmal wissen, wer das Mädchen war und ob es sich bei dem Kind um einen Jungen oder ein Mädchen handelte. Aber er war dankbar dafür, dass Jakobine genau zu wissen schien, dass das Heu nach warmem Tang duften sollte, nicht sie.
»Wollen wir heiraten?«, fragte sie.
Er küsste sie, um sich die Antwort zu ersparen; er pflanzte den Kuss voll in ihren Milchmund, er fuhr mit den Fingern durch ihre Haare und hob ihren Rock, um das kleine Spatzenloch zu sehen, die Muschel, die sich wie kleine Wellen bewegte, wie Wasser in der Abendbrise, in Farben, die aussahen wie Rosenblätter,
die sich um einen dunkleren Kern schließen, die aber noch schöner sind als die echten, mit Blumenstaub, der nach Zucker schmeckt. Aber wenn er es für sie schön gemacht hatte, dann brachte er es nicht über sich, ihr ins Gesicht zu blicken. Es war verzerrt wie das der Mutter, als sie vor sich auf dem Küchenboden den Tod gesehen hatte. Und sie konnte auch schreien, seine Jakobine, wenn echte Wellen sie durchfuhren, als habe sie soeben von einem tiefen Kummer erfahren.
Sie waren Kinder, und sie liebten sich wie Kinder, wie Tierjunge, die schmeckten und kauten und leckten und sich nicht so recht schämen konnten, weil ihnen vorher niemand gesagt hatte, wie gut es sein würde. Aber in den Nächten, in denen er feuchte Träume von seiner Mutter hatte, schämte er sich so sehr, dass er morgens keinen Bissen hinunterbrachte. Nach einigen Stunden war das vorbei. Es war nichts passiert. Er hatte sie einfach mit Jakobine verwechselt. Ihm kam nun aber eine Ahnung, dass Frodes Behauptungen darüber, wie Kinder gemacht wurden, doch zutreffen könnten. Bestimmt hatte Carlchen es auch so gemacht. Aber sich den Vater in dieser Haltung vorzustellen, über der Mutter, nein, das war unmöglich. Selbst dann, wenn er in Gedanken das Heu durch eine weiße Matratze ersetzte.
M ogens’ erwachsenes Glück dauerte ein langes Jahr. Wer alt und reif genug für den Konfirmandenunterricht war, wurde dann
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