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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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sich unter den Decken unmittelbar vor dem Einschlafen an den Hals greifen, musste den Hals umfassen und denken, dass alle Worte von dort stammten. Von dort strömten sie herauf und hinaus, und die Menschen lauschten und weinten echte Tränen. Dicht gefolgt von: Lachen.
    Sie horchte auf den Atem der anderen, den von Ruben spürte sie an ihrer Wange. Dieser Atem roch nach Schnaps und Stolz. Noch im Schlaf hielt er sie fest im Arm. Er hatte sie den ganzen Abend nicht losgelassen, sondern mit Besitzermiene bewacht. Und das durfte er. Sie gehörte ihm.

M alie stand bis zur Taille im Fluss und tauchte immer wieder unter, um die Seife aus ihren Haaren zu spülen. Sie waren unterwegs nach Norden. Sie war nervös. Sie waren fünf Monate durch Deutschland getingelt, bis hinab in die Lüneburger Heide. Sie hatte die Herden der Heidschnucken mit ihren Korkenzieherh örnern und ihrer grauen, zottigen Wolle gesehen, dazu die spitzen rosa Zungen, die das Heidekraut abrissen, und die wunderbar schöne Heide mit ihrem Röslein rot, Röslein auf der Heiden. Sie hatte so viel Deutsch gehört, dass sie nachts auf Deutsch träumte. Europa hungerte, aber alles wurde zu einem diffusen, unwirklichen Hintergrund, da sie ständig unterwegs waren. Es bedeutete Glück und Freiheit, einen Ort verlassen und hoffen zu können, dass die nächste Menge von Gesichtern im nächsten Dorf und im nächsten Marktflecken gesünder und satter aussehen würde. Aber das erlebten sie nie. Aber wenn die Menschen auch Hunger litten, etwas zu trinken und etwas zu lachen konnten sie sich doch leisten, sagte Vati, vor allem, wenn sie hungerten. Und wer mitten in der Armut seine Scherze machte, würde immer gute Tage haben.
    Und jetzt ging es nach Norden. Weit nach Norden. Fast ... nach Hause. Die Freilichtbühne im Bakken wollte Elverhøj aufführen. Vati hatte Statistenrollen als Bauern und Ritter besorgt, über einen Mann, den er als Scharlatan bezeichnete, der in Theaterkreisen
aber offenbar großen Einfluss hatte. Das Stück sollte acht Wochen lang laufen. Ælle, jetzt ein Bengel von vierzehn, hatte gejubelt. Acht Wochen an einem Ort ...
    Auch Ruben redete dauernd von Stabilität, was Malie Sorgen machte und Vati ärgerte.
    »Ich will studieren. Ich will lernen«, sagte Ruben oft, einfach so, mitten in einem netten Gespräch.
    »Lernen? Was lernst du denn nicht?«, fragte Vati. »Nenn mir ein Buch, das du lesen willst, und ich werde es dir sofort besorgen. Den Rest lernst du unterwegs. Worüber hast du dich denn zu beklagen? Jetzt antworte schon, du.«
    »Ich will studieren, Vati! Zusammen mit anderen Studenten. Ich bin jetzt zwanzig. Ich will diskutieren und ...«
    »Du bist zu alt, um auf eine Schule zu gehen. Du kannst kein Latein, du hast keine Ahnung, was Mathematik ist. Und außerdem GIBT es dich nicht. Und warum willst du freiwillig in eine Schule gehen und auf einen Bambusstock warten, der in Salzlake gezogen hat? Du hast nur einen kleinen Anfall von Weltschmerz. Das legt sich wieder.«

    Fits war derjenige unter den drei Brüdern, der immer mit dem Reiserhythmus harmonierte, so wie Malie und Vati. Ihm reichte es, wenn es ihm im Augenblick gut ging. Und ihm vertraute sie ihre Sorgen um Ruben an. Die ganz neuen Sorgen, die zu seinem Gerede über das Studieren hinzukamen.
    »Du siehst das doch auch, oder? Dass er so schnell müde wird?«
    »Er schläft viel mehr als früher«, sagte Fits. »Das kann nicht richtig sein.«
    »Und als er am Stadtrand von Lübeck ohnmächtig geworden ist?«
    Eine alte Frau war stehen geblieben und hatte gesagt: »Der Kerl ist ja besoffen! Aber dann kann dich sein Vater ja zwischen deinen Beinen bedienen ...«

    Malie hatte ihr vor die Füße gespuckt und Ruben wieder auf die Beine gezogen.
    »Als wir ihm Brot und Honig in den Mund gesteckt hatten, war er wieder der Alte«, sagte Fits. »Das war schon komisch.«

    Sie ließ sich das Wasser durch die Haare und über den Rücken laufen. Fast zu Hause. Zu nahe. Aber Vati Sule war wie besessen von der Vorstellung, dass sie bald Elverhøj sehen würde. Die Lieder hören, die Handlung mit den vertauschten Mädchen erleben, die beide den falschen Mann liebten, und König Christian IV, der die Brücke nach Stevns Herred nicht überqueren konnte, ohne sich den Zorn des Elfenkönigs zuzuziehen, weil ein König nun mal genug war.

    Plötzlich stand Ruben hinter ihr im Wasser, wie ein großer gieriger Hecht, und küsste sie hinter den Ohren, wickelte sich ihre Haare um den Hals. Die

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