Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
Vom Netzwerk:
unternahm.

    Sie nahm alles Geld mit und ging los. Über die Landstraße nach Odense. Sie wusste, dass die anderen ohne sie nicht weiterfahren würden. Später konnte sie sich nicht erinnern, wie sie so schnell den Weg gefunden hatte, sie war einfach in die Stadt hineingegangen, hatte sich an Gerüchen und Erinnerungen an die Holmensgade orientiert, an dem gröbsten Lächeln, den vulgärsten Männerblicken, dem Geruch von Fest und Geschlecht und Leben. Und war dahin gelangt, wo die Fenster immer offen standen, wo Ellbogen auf der Fensterbank ruhten, wo die Frauen immer zu stark geschminkt aussahen, um andere Dinge zu verkaufen als die Kostbarkeiten, mit denen sie geboren waren, zwischen ihren Oberschenkeln. Hier betrat sie eine kleine Kneipe und wurde sofort von zwei Frauen mit vom Schweiß verschmutzten, halb offenen Spitzenkragen angegriffen. Diese Frauen waren viel älter als sie. Sie rissen sie am Zopf und spuckten sie an und drängten sie zurück zur Tür. Sie weinte und zog die aufgerollten Geldscheine hervor. Worauf alles verstummte.
    »Willst du uns kaufen? Du?«, fragte die eine erschrocken und wich zurück.
    »Nein. Eine Frau. Ich muss eine Frau finden«, flüsterte Malie.

    Die Deckenpappe war grau und wies feuchte Flecken und eifrig hin und her eilende Wanzen auf. Das Zimmer roch nach
Schnaps, Urin und Erbrochenem. Die alte Frau legte Zeitungen unter sie. Jemand lachte. Es waren die Frauen, die sie angegriffen hatten, sie lachten im unteren Stockwerk. Sie hatten sie bereitwillig hergeführt, sowie sie das Geld gesehen hatten. Die Frau verlangte dreihundert. Malie hielt das für einen Wucherpreis, aber das spielte keine Rolle. Sie weinte die ganze Zeit und erbrach sich, als sie das Zimmer betrat und den Gestank wahrnahm. Die Alte hatte im Oberkiefer keine Zähne mehr und wich ihrem Blick aus, als sie miteinander sprachen.
    »Du wirst bluten, aber das ist nicht gefährlich. Ich kenne mich doch aus. Wie weit bist du schon?«
    »Wie weit?«
    »Wie lange über die Zeit? In Tagen gezählt.«
    »Fünf Tage.«
    »Mehr nicht? Dann wird es wehtun. Dann muss ich gründlich vorgehen. Hier.«
    Sie drückte Malie eine Schnapsflasche in die Hand.
    »Ich kann nicht. Ich bring das nicht über mich ...«
    »Du musst. Sonst kannst du es nicht ertragen.«
    Sie trank und hustete, brachte ein wenig hinunter und erbrach den Rest. Fünf Freunde an den Händen beide, wer die nicht kennt, der tät mir Leide, der erste wird der Daumen genannt, der schüttelt die Pflaumen im ganzen Land...
    Die Schmerzen, die nun folgten, brannten wie Schnaps in einer offenen Fleischwunde, aber sie ertrug sie sehr lange, bis sie das Bewusstsein verlor und wieder zu sich kam, als die Alte ihr einen Lappen mit kaltem Wasser ins Gesicht klatschte.
    »Du musst noch ein wenig liegen bleiben. Aber du musst dich wach halten. Bist du wach?«
    »Ja ...«
    »Jetzt ist es vorbei. Du bist wieder ein ehrbares Mädchen. Wenn du in Ohnmacht fallen musst, wenn du hier weggegangen bist, dann mach das so weit wie möglich von hier entfernt. Wenn du mir die Polizei anschleppst, dann gibt es hundert Mädchen,
die dich finden und dich totschlagen werden, weil sie mich hier brauchen. Verstehst du?«
    »Ja.«
    »Und du brauchst dir keine Sorgen zu machen, wenn du drei oder vier Tage lang blutest. Du bist jung, du hast mehr als genug Blut. Ich gehe jetzt nach unten. In einer Weile gehst du auch. Durch diese Tür.«
    Sie zeigte auf eine Seitentür und verließ das Zimmer.

    Die Zeitungen lagen zusammengeknüllt in der Ecke. Sie konnte das Blut darauf sehen und musste sich wieder erbrechen. Sie schleppte sich die Treppe hinunter und hinaus auf die Gasse und konnte noch einige anderen Gassen durchqueren, ehe sie in Ohnmacht fiel. Als sie erwachte, hockte ein verdreckter kleiner Junge neben ihr.
    »Die haben dir dein Geld geklaut, als du hier gelegen hast«, sagte er. »Was krieg ich, wenn ich dir sage, wie sie aussehen? Vielleicht weiß ich auch, wie sie heißen.«
    »Nichts«, sagte sie. »Geh weg.«

    Sie trank Wasser aus einem Brunnen, es schmeckte warm und erdig. Sie war nass zwischen den Oberschenkeln. Ihre Fingerspitzen färbten sich feuerrot, als sie den Lappen betastete, den die Frau ihr in die Hose gesteckt hatte. Trotzdem war sie glücklich, auf eine schwindlige, gleichgültige Weise. Sie hatte es geschafft. Sie war es los. Sie war auch ihr Geld los. Sie war arm, aber das spielte keine Rolle. Es war vorbei. Jetzt musste sie nur noch den Weg zum Marktplatz finden,

Weitere Kostenlose Bücher