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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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wusste, dass so etwas in wohlhabenden Familien vorkommen konnte, die an Familienallianzen dachten. Eine Tochter einer befreundeten Familie, die sie als seine Gattin sehen wollten, keine Telefondame aus Kopenhagen. Die Tochter eines Blaumalers und einer früheren Kabarettschauspielerin, die 1933 ihren größten Erfolg gehabt hatte, mit Netzstrümpfen und bis zu den Hüftknochen entblößten Oberschenkeln.
    »Nein«, sagte er. »Es gibt keine andere. Natürlich nicht.«

    Am selben Abend rief er aus Kopenhagen an. Das Telefon stand in der Diele, und die anderen Pensionsgäste konnten jedes Wort hören. Sie plapperte nur über das Wetter und die Arbeit und weinte später unter der Bettdecke. Was sollte werden, wenn er sich nicht freute? Er war das einzige Kind und würde einen Erben brauchen, und sie war davon überzeugt, dass sie einen Jungen erwartete. Sie hatte nie eine Beziehung zu kleinen Mädchen gehabt. Søren und Ib und Dasses kleiner Niels waren die einzigen Babys, die sie kannte. Plötzlich überkam sie ein Gedanke wie eine Flutwelle: Er heiratet mich nicht. Jetzt nicht.

    Sie lag die ganze Zeit wach und zerbrach sich den Kopf. Sie liebte ihn doch nicht, sie mochte ihn nur gern, weil er ... nein, sie wusste es nicht so ganz. Sie fiel nicht in Ohnmacht, wenn er sie küsste. Sie biss die Zähne zusammen, wenn er in sie eindrang. Wenn sie ihn einige Tage nicht sah, empfand sie nichts weiter. Nach allem, was sie aus Filmen und Büchern wusste, war also klar, dass hier von Liebe keine Rede sein konnte. Aber das brauchte er nicht zu erfahren, das war kein Problem. Er glaubte ihr ja doch jedes Wort, auch wenn sie ihm beteuerte, wie sehr sie ihn liebte. Er glaubte ihr jedes Wort ...

    Sie fiel ihm um den Hals, als er nach Hause kaum. Er wollte sofort ins Bett, und sie stimmte zu und war zärtlich und lachte die ganze Zeit. Als er sich wie immer zurückziehen wollte, unmittelbar, ehe sein Gesicht in einem Genuss zerfloss, den sie einfach nicht erfassen konnte, hielt sie ihn zurück und drückte ihre Hüften gegen seine. Hilfslos sank er in sich zusammen und in sie hinein. Sein Körper bebte und pulsierte. Er stöhnte laut. Sie wartete.
    »War das so klug?«, fragte er nach einer Weile.
    »Lass uns auf dem Standesamt heiraten«, sagte sie darauf. »Nur wir beide. So bald wie möglich. Sag deinen Eltern nichts.«
    »Aber Ruby... wie meinst du das? Die Wohnung ist noch nicht fertig, und meine Eltern, die...«
    »Lass uns heiraten, ich will nicht mehr warten. Lass uns auf die Wohnung pfeifen, wir ziehen ein, wenn sie fertig ist. Wenn ich nur... wenn ich nur deine Frau sein kann.«
    Und plötzlich lachte er und sagte: »Ohne es zu wissen, hast du eigentlich die perfekte Lösung vorgeschlagen.«
    »Wofür denn?«
    »Wir heiraten heimlich. Ja, das tun wir! Nächste Woche! Gib mir deine Papiere, dann leite ich alles in die Wege.«
    »Und als Trauzeugen? Meine Kollegin Sonja kann meine Zeugin sein.«
    »Man kann auch Angestellte vom Standesamt dazubitten.«
    »Aber du musst doch einen Freund haben, Håvard? Einen Bekannten?«
    Er gab keine Antwort. Sie traf seine Freunde nie. Sie waren immer nur zu zweit. Sie akzeptierte das als Schmeichelei. Er war so verliebt in sie, dass er sie mit niemandem teilen mochte.

    Sie heiratete in dem Kostüm, in dem sie Dänemark verlassen hatte. Håvard brachte ihr einen kleinen Strauß gelber Rosen. Der Schnee lag schwer und schmutzig in den Straßen, und nach der nichts sagenden Zeremonie mit nicht nur einem, sondern zwei unbekannten Zeugen, weil Ruby plötzlich beschlossen hatte,
dass es nicht so klug sei, die Kolleginnen von ihrer Hochzeit zu informieren, wanderten sie Hand in Hand zum Fjord hinunter. Sie wollte arbeiten, bis man etwas sehen könnte. Ihre Stelle zu verlieren und kein Geld mehr zu haben, in jeder Hinsicht von Håvard abhängig zu sein – das eilte durchaus nicht. Es eilte auch nicht, ihm von dem Kind zu erzählen. In dieser Nacht lag sie wach und dachte nach, beschloss, noch lange damit zu warten, ihn glauben zu lassen, es sei unmittelbar vor der Hochzeit passiert. Sich einen anderen Arzt zu suchen. Allen zu erzählen, das Kind sei zu früh gekommen. Ein Kind. Sie konnte es noch immer nicht fassen. Was sollte sie mit einem Kind? Es waschen, es füttern, es hüten. Es aufziehen. Es lieben. Wie liebte man ein Kind?
    »Meine Frau«, sagte er und zog sie an sich. Der Fjord lag vor ihnen wie eine graue Kathedrale, unruhig, mit spitzen Wolken, den ganzen Weg nach Dänemark. Weiße

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