Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
Vom Netzwerk:
von der Familie Satsås gehört«, sagte er. »Sie waren vom ersten Tag an nazifreundlich. Oscar Satsås war eng mit Quisling befreundet, und er trat ins Offizierskorps ein, sowie das überhaupt möglich war. Zum Glück ist er dann ja rechtzeitig gestorben. Einige Monate, ehe Hitler in seinem Bunker seinen Hut genommen hat. Und das hat seine Frau und seinen Sohn gerettet, ihr konnten sie nie etwas nachweisen, und der Sohn war zu jung, heißt er nicht Håvard? Aber sie leben wie Ausgestoßene, und sie machen ihre Geschäfte über Strohfirmen, und natürlich mit dem Ausland. Vermutlich mit anderen Nazis.«

    Herr Buchmann bezahlte aus eigener Tasche einen von Oslos besten Anwälten. Håvard Satsås wurde brieflich von der bevorstehenden
Scheidung und von der Tatsache informiert, dass er danach den Unterhalt für ein Kind zahlen müsse. Und den für seine geschiedene Frau, bis das Kind erwachsen wäre. Satsås’ Anwalt erklärte sich mit allem einverstanden. Sie würde sich ein Kindermädchen leisten können, während sie weiter ihrem Beruf nachging. Es machte ihr nichts weiter aus, dass sie braunes Geld annahm. Geld bedeutete der Familie Satsås so viel. Finanzielle Forderungen wurden damit zu einer Strafe, der einzigen Form von Strafe, die ihr zur Verfügung stand. Håvard versuchte nicht, sie zu sehen. Sie nahm sich eine kleine Zweizimmerwohnung in der Prinsens gate gleich bei der Telefonzentrale, während ihr Bauch anwuchs. Herr Buchmann kam jeden Sonntag zum Tee. Er war ein milder und gütiger Mann, der verzeihen konnte, eine Fähigkeit, um die sie ihn beneidete.
    »Willst du denn nicht mit deinen Eltern sprechen?«, fragte er.
    »Nein«, sagte sie. »Ich habe gesagt, dass Håvard und ich geheiratet haben und jetzt zusammen wohnen. Sie können sich einen Besuch nicht leisten. Es ist besser so.«
    »Und sie wissen nicht, dass du ein Kindchen bekommst?«
    »Nein.«
    Sie wollte ihn Arne nennen. Nach Anna. Näher konnte sie ihr nicht kommen.

    An einem späten Herbstabend bekam sie eine Tochter. In großen Teilen der Stadt war der Strom ausgefallen. Das Personal der Wochenstation war außer sich wegen des Stromausfalls, aber erleichtert, weil Ruby eine vorschriftsmäßige Geburt lieferte. Sie beklagte sich fast nicht über die Schmerzen. Sie presste sich den riesigen Bauch aus dem Leib, und es schrie und schrie.
    »Er soll Arne heißen«, sagte sie.
    »Aber es ist ein Mädchen«, sagte die Hebamme.
    Nicht Anna. Nicht Anna. So sollte sie nicht heißen. Das alles stimmte doch nicht. Sollte sie wirklich eine Frau großziehen müssen?

    »Dann weiß ich es auch nicht«, sagte Ruby. »Ich weiß nicht, wie Mädchen heißen.«

    Zwei Tage darauf rief sie in Amager an. Sie stand in der Telefonzelle und hörte zu, wie die Telefondamen ihre Arbeit machten, und sie hätte gern gesagt, dass hier Ruby Thygesen anrufe, aber das sagte sie nicht. Ihr war schlecht. Die Telefonzelle stank nach Nachgeburt und Schweiß. Ihr Vater meldete sich:
    »Hier bei Thygesen.«
    »Ich bin’s, Ruby.«
    »Mein Schatz! Wie geht es dir?«
    »Ich habe eine Tochter bekommen.«
    »WAS SAGST DU DA? EINE TOCHTER?«
    »Ja. Sie hat dreitausendsechs gewogen und war neunundvierzig lang.«
    »Aber Ruby, wir wussten doch gar nicht...« Ihr Vater brach in trockenes Schluchzen aus. Ruby hätte gern aufgelegt, tat es aber nicht. Sie sah den Tisch mit dem Telefon vor sich. Die getrockneten Blumen, die immer neben dem Telefon standen, und die die Mutter Immortellen nannte. Das Gesicht des Vaters, den kleinen Haarkranz im Nacken, die Ohrläppchen, den Walzer Nr. 7.
    »Ich weiß nicht, wie ich sie nennen soll. Wie soll ich sie nennen, Papa?«
    »Sollen wir deine Mutter fragen?«
    »Ja, tu das.«
    »Unsere Ruby hat ein kleines Mädchen bekommen, was meinst du, wie sie heißen soll?«
    Die Antwort der Mutter konnte sie nicht hören. Es dauerte eine Weile. Dann war die Stimme des Vaters wieder da.
    »Sie sagt, Therese. Therese. Das ist doch ein schöner Name. Aber hat nicht... hat nicht auch Håvard seine Wünsche? Was den Namen angeht, meine ich?«
    »Der hat nichts mehr damit zu tun. Sag es Mutter nicht. Es war eine Nazifamilie, Papa. Es war so schrecklich. Sag Mutter
bitte nichts. Oder... sag es an einem Abend, wo es sich gerade so ergibt. An einem Abend, wenn sie fröhlich ist. Sie soll ein bisschen am Klavier singen, und danach sagst du es ihr dann. Sie bezahlen für mich. Und für... das Kind. Ich habe mir einen Anwalt genommen, ich wohne in einer schönen Wohnung,

Weitere Kostenlose Bücher