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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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hatte sich dort erkundigt. Und hatte danach eine Stunde lang weinend auf der Treppe gesessen, bis sie dann mit einem Taxi ins Theater fahren und sich eine überzeugende Lüge aus den Fingern saugen musste: Sie habe gesehen, wie ein Kind überfahren wurde, das musste ihr verweintes Gesicht erklären.

    Tutt war wunderhübsch. Sie konnte einfach nicht aufhören zu lächeln, auch nicht, als der Standesbeamte ihnen aufs Energischste einschärfte, welches feierliche Versprechen sie hier abgaben. Käse-Erik wischte sich eine Träne ab. Er trug einen Zylinder mit echtem Silberrand und graue Handschuhe. Er ist sicher nicht der Schlimmste, dachte Malie. Er ist lieb. Das hat Tutt verdient. Aber sie wird sich natürlich zu Tode langweilen, mit einem dermaßen biederen Mann.
    Danach überquerten sie den Rathausplatz und gingen ins Wivex, wo sie schon in der Tür von einem Straußwalzer empfangen
wurden und zwei Kellner mit silbernen Tabletts und Champagner bereitstanden, obwohl sie nur so wenige waren. Die anderen Gäste waren Käse-Eriks Geschwister und die beiden Elternpaare. Die Eltern betraten das Lokal mit großen Augen und voller Bewunderung. Sie waren alle nicht fein. Das Geld hatte Käse-Erik von der Pike auf selber verdient. Die beiden Mütter trugen Crêpe-de-Chine-Kleider, glücklicherweise nicht in derselben Farbe. Aber sie konnten sich darin nicht bewegen. Sie versuchten zaghafte kleine Schritte und fuhren sich ununterbrochen über die Hüften. Sie hatten aber den passenden Umgangston gefunden, die beiden angehenden Großmütter, aus purer Erleichterung darüber, dass die andere nicht aus einem höheren Stand kam. Mit gehetzten roten Gesichtern und viel zu viel Lippenstift tranken sie synchron und kichernd, betrachteten die Kapelle, die immer neue Walzer ertönen ließ, und kreischten in gemeinsamer Begeisterung über die turmhohen belegten Brote mit gerösteter Bekassinenbrust und Trüffelsplittern, die die Kellner vor ihnen auf den Tisch stellten.
    Tutts Vater forderte Malie auf. Sie trank zu viel Champagner. Gott sei Dank hatte sie an diesem Tag probenfrei. Man arbeitete am Bühnenbild und brauchte sie nicht. Am Ende saß sie auf der Toilette und weinte in eine weiße Damastserviette, während Tutt ihren Schleier in schmale Streifen riss und ebenfalls weinte und beteuerte, dass Malie bei ihnen draußen in Charlottenlund immer willkommen sein würde.

    »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, denn das ist meine Welt, und sonst gar nichts. Das ist, was soll ich machen, meine Natur, ich kann ja Liebe nur, und sonst gar nichts. Männer umschwirrn mich wie Motten das Licht, wenn sie sich verbrennen, dafür kann ich nicht...«
    Den Rücken zum Publikum, die Beine über den hochhackigen Schuhen gespreizt, danach den Fuß auf den Stuhl, den Oberkörper langsam zum Publikum umdrehen, hoffen, dass die Klammern
das Kostüm im Schritt festhielten, das Gesicht zum Scheinwerfer heben, die falschen Wimpern senken und Schatten werfen. »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt...«
    Sie war Lola. Tutt hatte Recht. Wenn sie hier oben stand, war Rudolf vergessen. Ein Lärm in den Kulissen ließ ihren Fuß auf dem Stuhl wackeln. Ein unglücklicher Bühnenarbeiter schaute hinter dem Vorhang hervor und lächelte schwach. »Das geht schon ... das war nur ...«
    Ollerup brüllte aus dem Saal: »Das GEHT nicht! Wenn das morgen passiert, dann bist du gefeuert. Stupider Kretin! «
    Aber natürlich würde es morgen nicht passieren. Alle wussten doch, dass es ein gutes Zeichen war, wenn bei der Generalprobe etwas schief ging. Sie würde jedenfalls kein Wort vergessen. Der erfahrene Robert Andersen war nervöser als sie. Malie ärgerte sich, dass Ollerup immer wiederholte, es sei Andersens Stück. Dass der Blaue Engel Professor Unrats Geschichte erzählte.
    Aber niemand kam doch wohl, um zu sehen, wie Robert Andersen mit Clownsgesicht weinend vor einem Spiegel saß, oder wie er über die Bühne hüpfte und kikeriki schrie, nachdem er ein rohes Ei über seine Clownsperücke verschmiert hatte ... sie kamen, um ihre eleganten Beine in den Seidenstrümpfen zu sehen. Um ihren verlockenden und verführerischen Gesang zu hören. Um sie in schwarzem Tutu und Fliege um den nackten Hals einherschreiten zu sehen. Sie hatte demütig zu allen Forderungen genickt, die Ollerup während der wochenlangen Proben gestellt hatte. Er war das Genie, und er betonte immer wieder, dass sie aus dem Sumpf von Amager gefischt worden sei, um dem Stück

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