Das Erbstueck
weißen Hemden und Applaus, Applaus, Applaus. Nie genug Applaus.
Das Premierenfest fand im Theaterfoyer statt. Malie war schweißnass und konnte sich vom Stück her an kaum etwas erinnern. Sie zitterte, als Ollerup und Munk sie umarmten und sie großartig nannten, einen Star. Fräulein Ryge wollte ebenfalls gratulieren. Als Malies zweite Besetzung kannte sie die Rolle in-und auswendig und hätte nichts dagegen gehabt, wenn Malie sich ein Bein gebrochen hätte. Malie ließ sich von ihr auf beide Wangen küssen, konnte sie aber nicht ausstehen. Fräulein Ryges verstorbener Großvater war einer der wirklich Großen am Königlichen Theater gewesen, und deshalb hatte sie sich seinen Namen zugelegt, obwohl ihre Mutter eine verehelichte Prütz war.
Robert Andersen gratulierte ihr nicht. Sie ging auch nicht zu ihm, um ihm ihre Glückwünsche auszusprechen. Dem alten Trottel. Dem Clown.
Sie wartete. Sie wusste nicht, worauf. Aber Rudolf hätte sich mit Leichtigkeit das Datum der Premiere besorgen können. Wenn er sie nicht vergessen hätte.
Eine Garderobiere kam mit drei roten, in Zellophan gewickelten Rosen angerannt.
»Fräulein Jebsen! Fräulein JEBSEN!«
Sie hatte es aufgegeben, sich gegen diesen Namen zu wehren. »Für mich?«
Sie riss die Karte heraus und las sie. Und brach dabei in Tränen aus. Rudi, Rudi ...
Sie waren wunderbar in dieser Rolle, Fräulein Malie-Thalia! Herzliche Grüße und Glückwünsche von Ihrem ergebenen Bewunderer Mogens C. T.
»Wer zum Teufel ist das denn?«, murmelte sie und schniefte und wischte sich die Tränen ab. »Wer zum TEUFEL ist das?«
»Flucht die junge Dame? Von wem ist hier die Rede?«, fragte Ollerup.
»Mogens C. T. Ich kenne niemanden, der so heißt.«
»Aber er kennt offenbar die kleine Jebsen. Vom Sumpf her, vielleicht?«
Svend und Kurt umarmten sie, ehe sie Ollerup umbringen konnte. Danach schnaufte Bæppe Munk ihr ins Ohr: »Heute Nacht gibt es die Belohnung, mein Mädel. Und zwar mich Kleinen, mit einer Schleife. Wir haben ein Zimmer im Bristol und alle Morgenzeitungen. Und das Matrosenkleid nehmen wir mit.«
S ie waren begeistert von ihr. Aber ansonsten konzentrierten die Rezensionen sich auf den tieferen Sinn des Stückes, darauf, warum Heinrich Mann eine solche Geschichte geschrieben hatte. Im Amagerbladet dagegen war Robert Andersens Leistung mit keinem Wort erwähnt. Dort ging es nur um Malie-Thalia J., mit alten Bildern aus dem Rode Kro und frischen aus dem Folketheater. Hier war sie die Heldin, die die Sterne berührte. Das hässliche Entlein, das sich zum Schwan entwickelt.
In ihrem Matrosenkleid, mit hinten offenem Reißverschluss und nicht weniger als zwei Flaschen Champagner im Leib, sang und tanzte sie für Bæppe Munk barfuß auf dem knöcheltiefen Teppich des Bristol, während er ihr laut aus den Zeitungen vorlas. Über das Amagerbladet lachte er nur. »Ich möchte ja Andersens Gesicht sehen, wenn er das hier liest. Er ist glatt unsichtbar! Und etwas Schlimmeres gibt es für sein geschwollenes Ego ganz einfach nicht.«
Malie begriff einfach nicht, warum die seriösen Zeitungen sich dermaßen in die Frage verbissen, was Heinrich Mann mit seiner Geschichte sagen wollte. Das lag doch auf der Hand: Kein Mann, egal welche Prinzipien er auch hat, kann nein zu einer Versucherin sagen, die mit nackten Schultern und Schlafzimmerblick tanzt und singt. Zu einer, die nicht nach Muttermilch und Silberputzmittel und Schwiegereltern riecht. Einer, die mit
ihrem ganzen Wesen und dazu mit Hüftschwung sagt, dass Liebe wunderbar ist und durchaus nicht hässlich. Und wenn dieser Mann noch dazu ein hoch angesehener Professor ist, ein moralischer Wegweiser für junge Männer – na, dann ist seine Fallhöhe eben desto höher. So einfach war das. Männer waren Verlierer, wenn sie sich weißen, einladenden Oberschenkeln gegenüber sahen, die nur einen Augenblick und eine Leistung forderten, die die Grenzen des Möglichen nicht überschritt. Die Zeitungsschreiber, die vielen Kritiker, denn es waren allesamt nur Männer, entdeckten den Splitter erst, wenn er sie voll im Auge traf, oder im Balken, oder wie immer das in der Bibel nun heißen mochte. Aber sie mochte darüber nicht mit Bæppe diskutieren. Sollte er das Ganze doch für unverständlich halten. Sollte er Professor Unrat doch als einen unter tausend betrachten. Einen mit einem einzigartigen Schicksal. Wo er im Grunde doch nur himmelschreiend normal war.
Als sie am nächsten Tag nach der Vorstellung in die
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