Das Erbstueck
Gnadengabe der Liebe! Du sollst dem Wort der Schlange widersagen, du sollst dem Herrn der Lügen ins Antlitz speien. Denn der Herr des Himmels ist dein Vater, und wer den Herrn fürchtet, zweifelt nicht an Seinem Wort, und die Ihn lieben, folgen Seinen Wegen! Lass uns in die Hände des Herrn fallen und nicht in Menschenhände, denn wie Seine Majestät ist, so ist auch Seine Barmherzigkeit. Gott segne dich, mein Sohn ... Mogens Christian!«
Bei den letzten Worten warf er einen raschen Blick auf das Kind. Er wusste, was er sich erhoffte, es war eine Schande, sich nicht ganz zu den vier anderen bekennen zu können. Er wusste ja, dass sie seine Söhne waren. Der Herr sollte ihn zu Boden schlagen, wenn er jemals etwas anderes unterstellte. Aber den Kopf ihres Vaters hatten sie nicht, sein Leben und seinen Drang nach etwas Größerem. Die vier stumm starrenden Knaben am Tisch waren vierschrötige und robuste Fischer- und Bauernkinder. So sah er sie, als Kinder des Himmels und der Erde, korrekt in Beziehung zum irdischen Himmel, unter dem sie geboren waren,
nicht jedoch zu dem anderen. Sie besaßen keinen Geist. Und das sah man schon früh, in ihren Blicken, in ihrem Verhalten, in ihrem Fragen, in ihren Interessen. Sie mussten in den Gottesdienst gezwungen werden. Der Älteste, der jetzt sechs war, war nicht einmal höflich genug, um während der Predigt zu seinem Vater hochzublicken.
Dieser Kleine hier dagegen ... Mogens Christian.
»Mache deinem Vater Ehre«, murmelte der Probst. »Wer den Herrn fürchtet, soll seinen Vater ehren und seinen Eltern dienen wie seinen Herren.«
Aber er wünschte sich durchaus nicht einfach schlichten Gehorsam.
Die Hebamme verlagerte ihr Gewicht auf den anderen Fuß. Ihr Rücken tat weh. Die Geburt hatte drei Stunden gedauert, und das war ungewöhnlich lang für eine Frau, die schon mehrere Geburten hinter sich hatte.
»Geht es meiner Frau ... gut?«, fragte der Probst plötzlich.
Die Hebamme staunte, sagte aber nichts. Aber bei genauerem Nachdenken fiel ihr ein, dass er sich genauso verhalten hatte, als Christina ihren ersten Sohn bekommen hatte. Danach war er gleichgültiger geworden.
»Es ist ein bleiches Kind«, sagte er. Und darin lag seine Hoffnung, obwohl die Hebamme das zuerst als Kritik auffasste.
»Er wird schon zu Kräften kommen, wenn er nur etwas zu Essen und ein paar Tage zum Entwickeln bekommt«, sagte sie deshalb schnell.
Die wenigen Sekunden, in denen der Blick des Vaters auf dem Jungen geruht hatte, hatten gereicht, um dem Probst klar zu machen, dass dieser Sohn anders war. Schmächtiger, fast durchsichtig. Ihm war erzählt worden, dass er bei seiner Geburt auch so ausgesehen habe. War das hier also möglicherweise kein Kind des Himmels und der Erde?
»Sagt meiner Frau, dass es ein schöner Knabe ist«, sagte endlich
der Probst und reichte das Bündel zurück. Die Hebamme kam nicht aus dem Staunen heraus. Sie hatte plötzlich Lust, einen Knicks zu machen.
»Soll ich das sagen, Probst Thygesen?«
Er nickte.
»Was hat er gesagt?«, fragte Christina und nahm das Kind mit brennenden Augen entgegen.
»Mogens Christian.«
Die Hebamme nahm ihre Arbeit zwischen den Schenkeln der Frau auf und stellte fest, dass die Geburt im Fleisch kräftige Spuren hinterlassen hatte, wie eine erste Geburt, und dabei war das Kind doch überhaupt nicht groß gewesen. Aber vielleicht der Kopf ...
»Weißes Mehl, wenn es zu sehr nässt, und einen Lappen mit Glyzerin gegen die Schmerzen«, sagte sie.
Die Frau hielt das Kind an der Brust, lächelte mit geschlossenen Augen und wiederholte den neuen Namen mehrere Male.
»Hast du gehört?«, fragte die Hebamme.
Die Mutter nickte.
»Und dann soll ich sagen, dass es ein schöner Knabe ist.«
Christina öffnete die Augen und hob mit Mühe den Kopf, um auf die Hebamme hinunterzublicken.
»Das hat er gesagt?«
Die Tür öffnete sich, und Elise brachte eine Tasse mit Zuckerwasser und einem rohen, geschlagenen Ei.
»Was für ein Glück«, flüsterte Christina. »Was für ein Glück!«
Sowie sie nicht mehr blutete und aufstehen könnte, würde sie diesen Namen in eine Ecke des Damaststoffes sticken. Mogens Christian Thygesen.
Das Kind saugte unbeholfen und unsicher und verlor dauernd die Warze aus dem Mund. Die Mutter half ihm mechanisch und erschöpft. Sie wollte nur noch ihr Glück über das Kind und den Namen mit in ihren Schlaf nehmen. Der Schmerz hatte sich gelegt.
Er hinterließ einen festen hämmernden Puls, der ihr bis in den
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