Das Erbstueck
glücklich über das, was er am besten konnte. Er wollte ihr Zeit lassen. Einen Tag nach dem anderen nehmen. Sie würde lernen, ihn zu lieben, ihn zu wollen. Er würde ein guter Ehemann sein, ein guter Vater, ein guter Liebhaber, dachte er. Bis sie dann sagte: »Erzähl mir von deiner Kindheit. Von dem, wovon Frode gesprochen hat.«
»Nein. Daran mag ich nicht denken.«
»Jetzt erzähl schon ein bisschen. Von deiner Mutter. Frode hat gesagt, dass sie sehr schön war.«
»Nein. Ich bin mit vierzehn Jahren geboren worden. Als ich in die Fabrik in die Lehre kam, und den Rest weißt du.«
»Das mit Anne-Gine wusste ich nicht.«
»Ich war einsam. Jetzt müssen wir schlafen, meine Malie. Gute Nacht.«
Einige Wochen später stand er im Garten und harkte Blätter und Zweige zusammen. In der Luft lag ein scharfer Frost, und eine blaue Dunkelheit hing weiter unten über dem Wasser. Er konnte die Wellen hören und den Tang riechen. Er dachte ein wenig an den aufgepumpten Sand, der durfte nicht von den Wellen gefressen werden, ehe das kleine Kind darin gespielt hatte.
Dann sah er, dass sie das Gartenzimmer betrat. Sie hatte geschlafen, als er kurz zuvor aus dem Haus gegangen war. Sie bückte sich und zündete die Lampe auf dem Ecktisch an.
Er unterbrach seine Arbeit und stützte sich auf die Harke. Malie trug ein weißes, flatterndes Umstandskleid und hatte ihre Locken
mit einem indigoblauen Seidenband gebändigt. Sie drehte sich zum Fenster um und schaute in seine Richtung. Sie fasste sich in die Haare, schob die Locken unter das Band. Sie bewunderte ihn nicht, sondern ihr eigenes Spiegelbild.
Du weißer Engel, dachte er. Meine Prinzessin, meine Schöne.
Dann ließ sie ihre Hände plötzlich sinken. Ihre Schultern fingen an zu beben. Sie näherte sich der Fensterbank mit kleinen, schleppenden Schritten, ihr Gesicht war verzerrt zu einer entsetzlichen Grimasse. Sie ließ sich an die Wand auf der linken Seite der Gartentür sinken, wo sie ein bestimmtes Foto aufgehängt hatte. Das Foto der Nackten, die sich nach hinten beugt. Er wusste nicht, von wem sie dieses Bild hatte, doch es war ungefähr das Einzige, was sie bei der überstürzten Einrichtung des Hauses interessiert hatte. Und gegen dieses Bild in Glas und Rahmen lehnte sie jetzt ihre Stirn. Er konnte noch immer ihre eine Schulter sehen, als Silhouette, vor dem dahinter brennenden Licht. Ihre Schulter bebte in lautlosem Weinen.
Als er eine halbe Stunde später das Haus betrat, saß sie lächelnd auf dem Manilasofa, vor ihr stand die Flasche.
»Du trinkst doch ein Glas Wein mit mir, Mogens?«
»Nicht heute Abend, Maliechen, nicht heute Abend. Ich muss früh raus, weißt du.«
Teil IV
Gott schuf den Leib des ersten Menschen aus Erde.
Er setzte Adam ins Paradies, einen fruchtbaren und
schönen Garten. Er ließ alle Thiere vor ihn hintreten.
Dadurch lernte Adam sie kennen, doch fand er keines,
das ihm ähnelte.
Birchs Biblische Geschichte, 2. Kapitel
L ass ihn richtig werden! Für Carl!«, schrie Christina Sol Thygesen am fünften Tag im Jahre des Herrn 1900, als der letzte Krampf den kleinen Knaben aus ihrem Schoß stieß. Das Kind rutschte dampfend und rot aus ihr heraus und in das kühle Zimmer.
Es war ein Junge, deshalb sagte die Hebamme nichts. Es war ein leuchtendes kleines Stück lebendes Fleisch, zusammengehalten von menschlichen Formen, glänzend von Geburtsfett, mit dünnen Gliedern, die willenlos in den Händen der Hebamme baumelten. Hebamme Klüge kappte rasch mit einer Hand die Nabelschnur, ohne das Kind loszulassen. Auf dem Boden lag ein kleines Strohbund; sie zog das Bund mit dem Fuß zu sich heran, legte das tropfende Kind für einen Moment darauf und hob es dann wieder hoch. Sie hielt sich an die alten Traditionen, alles andere hätte Unglück gebracht. Die alten Traditionen ihres ursprünglichen Amtes, aus einer Zeit, als Frauen auf Strohschütten auf dem Boden gebaren.
»Nicht den Damast vergessen, der liegt auf dem Truhendeckel« , flüsterte Christina, deren Unterleib sich mit der Nachgeburt abmühte; er pulsierte zielstrebig, um sich vollständig zu säubern, um den Boden für die nächste Empfängnis vorzubereiten.
»Damast«, schnaubte die Strohmutter, »was für ein Unsinn!«
Die lange Damastdecke hatte Christina Sol von ihrer Mutter erhalten. Es war ein wunderschönes Stück Arbeit aus Leinen, mit einem komplizierten Webemuster. Christina hatte keine Ahnung, woher es eigentlich stammte. Es war viel zu schön, um benutzt zu
Weitere Kostenlose Bücher