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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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sagte Schiller, ohne sich zu Goethe umzuwenden. »Wenn gestern ein Engel des Herrn vom Himmel zu mir herabgestiegen wäre und mir kundgetan hätte, von diesen sieben Menschen gibt es zwei, denen du alles Glück der Erde, alle Gesundheit und ein langes Leben wünschen kannst, ich hätte nicht mich gewählt, sondern Sie , Sie und Karl, diese beiden Menschen, die mir am liebsten sind. Und nun erfahre ich, dass von allen nur diese beiden mich getäuscht haben. Nein. Nein, Herr von Goethe, mir ist nicht wohl.«
    Noch einen Moment sah er Goethe in die Augen. Dann schlug er den Blick nieder und ging zurück, mit schleppenden, kleinen Schritten, wie ein alter Mann.
    Goethe wagte nicht, ihm zu folgen, zumal er im Lager nun niemanden mehr wusste, der keinen Groll gegen ihn hegte. Seinen Knotenstock hatte Schiller vergessen. Goethe nahm ihn an sich, trat über den Bach und lenkte seine Schritte zum Rabenfelsen.
    Dort, am Waldesrand auf der Höhe, stellte er sich auf den Fels, die rechte Hand auf den Stecken gestützt. Der Wind, Bote des heranrückenden Wetters, raste gewaltig und wühlte in seinen Haaren, in den Falten seines Mantels und in den Wipfeln der Tannen. Unten im Tal jagten die Wolken und Nebel vorüber, und die grünen Felder und roten Dächer der Dörfer waren von einem Wimpernschlag auf den nächsten von ihnen verborgen und dann wieder frei. Und wenn ein Sturm losbrechen würde oder Sturzbäche von Regen, dachte Goethe, er würde diesen Felsen so bald nicht verlassen.

    So fand ihn Bettine, fest und ruhig wie eine Säule über dem Meer von Wolken, als sie nach einer halben Ewigkeit aus dem Wald kam, ungerufen, unerwartet. Bettine hielt inne, bis die klopfenden Schläfen und die erhitzten Wangen vorüber waren, und trat dann an seine Seite, wortlos, und starrte mit ihm ins wolkenverhangene Tal.
    »Von diesem Hügel überseh ich die Welt«, sagte sie, als sie das Schweigen nicht länger ertrug.
    Er löste seinen Blick nicht vom Tal. »Wie hast du mich gefunden?«
    »Wie ein treuer Hund seinen Herrn findet«, gab sie lächelnd zur Antwort. »Und wie ein solches Hündchen möchte ich mich zu deinen Füßen zusammenrollen und wachen, um dir die Grillen zu verscheuchen oder um bei dir auszuharren, bis sie verflogen sind. Denn leiden mag ich dich nicht sehen. – Du hattest Streit mit Friedrich?«
    Goethe nickte. Darauf legte Bettine ihre Hand auf sei ne Brust und die andere auf seinen Arm. Goethe sah endlich an ihr herab.
    »Ein Hündchen? Nein, wie wilder Hopfen bist du eher. Wo ich auch stehe, fasst du Wurzel und rankst dich an mir hinauf und umschlingst mich, dass am Ende nichts von mir zu erkennen ist als nur der Hopfen.«
    Bettine zog verlegen ihre Hände zurück, denn seine Worte klangen nicht nach Neckerei, sondern nach Rüge, aber Goethe hielt sie, nahm sie vor seine Brust und schlug den Mantel um sie. Es hatte leise zu regnen begonnen, und wieder schwiegen sie.
    »Goethe«, seufzte sie, »es ist mir genügend, was dein Blick sagt, auch wenn er nicht auf mir weilt. Sprich mit den Augen, ich verstehe alles.«
    »So, mein artiges Kind? Was sagt er denn, mein Blick?«
    »Dass du mich auch liebst, weil ich besser bin und liebenswürdiger als die ganze weibliche Komitee deiner Romane. Für keinen anderen bin ich geboren als für dich.«
    Aber mit diesen Worten vermochte sie seine Grillen nicht zu vertreiben, denn er legte die Stirn in immer tiefe re Falten.
    »Soll von Liebe nicht die Rede sein?«, fragte sie und fuhr fort, ohne auf seine Antwort zu warten: »Ich möchte deine liebe Hand mit meinen beiden an mein Herz drü cken und dir sagen, wie ich dich immer lieben werde, wie Friede und Fülle über mich gekommen sind, seitdem ich dich weiß. Kein Baum kühlt so mit frischem Laub, kein Brunnen labt so den Durstigen, Sonn- und Mondlicht und tausend Sterne leuchten so nicht ins irdische Dunkel, wie du leuchtest in mein Herz!«
    »Herz! Mein Herz!«, sprach Goethe beängstigt. »Was soll das geben? Ich bitte dich, bleib am Boden!«
    »Allbegehrlichster!«, rief Bettine aus. »Denk ich an dich, so mag ich nicht am Boden weilen! Ich kann es nicht! – O Goethe, was denkst du von meiner Liebe? Willst du sie mir erwidern?«
    »Erwidern? Eigentlich kann man dir nichts geben, weil du dir alles entweder schaffst oder nimmst.«
    »Ganz recht, ich halt dich fest!«, flüsterte sie, umschlang seinen Körper nun ganz und sprach gegen das Gewebe seines Rocks, derweil sie seinen Duft ganz und gar in sich aufsog, »du müsstest

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