Das Erlkönig-Manöver
recht stark zappeln, wenn du los wolltest!«
Er spürte ihre Wärme und ihren Busen an seiner Brust und schloss die Augen, und Schiller war mit einem Mal vergessen, denn er wollte ihn vergessen, und Karl und Napoleon und Kleist und Arnim ohnedies und der Regen auch, und er legte seine Hände ihr auf den Rücken. Bettine, als sie seine Berührung fühlte, schaute auf, und mit Tränen in den Augen begehrte sie: »Küss mich, denn bald schon müssen wir dies Paradies verlassen, und dann wird alles anders, und du gehst fort; küss mich und umarme mich; dann werd ich dich küssen, ganz gewiss, und vergehen vor Freude.«
Doch nicht ihre Lippen küsste er, sondern den Hals und die Ohren und seufzte dabei tief und hielt die Augen fest geschlossen, um aus diesem ganz und gar verbotenen Traum nicht zu erwachen – und aus gleichem Grunde hielt Bettine ihre Augen offen. Regentropfen rannen über seine Stirn, und sie küsste sie auf und bekam wahrhaftig Durst danach, und ihre Lippen tranken den Regen von seinen Brauen, von seinen Augen und seinem geschlossenen Mund. Hungrig ward sie, und ungestüm biss sie ihm ganz leise in die Lippen, und als er sie an seine Wange drückte, da liefen ihm ihre Tränen über das Antlitz und vermengten sich mit dem Regen. Nun warf er den Mantel ab und entkleidete sie, bemüht, die Lider nie von den Augen zu heben. Beinahe wütend zerrte er an ihrem Mieder, bis ihr Busen freilag, in diesen senkte er die traurige Stirn und drückte viele und heftige Küsse darauf, und sie hielt seinen Kopf in stummer Glückseligkeit, dass diese Gottheit sich vor ihr beugte, dass dieser Größte aller Menschen ihre Brust küsste wie ein Neugeborenes.
Für Achim von Arnim aber, der versehentlich Zeuge dieser Vereinigung wurde, war es, als wäre ein Blitz aus dem Himmel geradewegs in seinen Schädel herabgefahren und hätte seinen Leib mit einem Mal in schwarze Kohle verdorben. Er hatte, Goethes Beispiel von einst folgend, auf den Wiesen des Gebirgszuges einen Strauß der allerschönsten blauen Blumen gesammelt, der Goethes an Größe um ein Vielfaches übertraf, hatte dafür manche Meile wandern müssen, hatte seine Hände den Peinigungen von Dornen, Nesseln und Insektenbissen ausgesetzt, und nun war er auf der Suche nach seiner Liebsten gewesen, ihr dies blaue Bouquet zu überreichen, um die kleinlichen Missstimmungen der vergangenen Tage damit aus der Welt zu schaffen. Was der Unglückselige aber fand, war zwar Bettine, jedoch nur halb bekleidet, den Kopf seines Nebenbuhlers zwischen ihren entblößten Brüsten, den nackten Rücken ihm zugewandt. Wie die beiden dort auf einer großen Steinplatte des Rabenfelsens standen, beinahe unbeweglich, erschienen sie Arnim wie ein obszönes antikes Standbild; eine verquere Variante der Caritas Romana auf den Felsen des deutschen Gebirges.
Erst schloss sich Arnims Hand zu einer steinernen Faust um die Blumen, die deren Stängel zerbrach und das Mark aus ihnen herausquetschte, dann öffnete sich die Hand wie im Schlaf, und eine nach der anderen regneten die blauen Blüten um seine Stiefel zu Boden, und zurück in der Handfläche blieb nur der grüne, klebrige Saft der Pflanzen. Keiner der beiden Liebenden nahm Notiz von ihm, und als er wieder gegangen war, erinnerten nur die geknickten Blumen im Dreck daran, dass er Zeuge dieser Szene gewesen war.
Mit dem festen Vorsatz, seinen Tränen nicht eher ihren freien Lauf zu lassen, als bis er der Gruppe und dem Kyffhäuser Lebewohl gesagt hatte, war Arnim in das Lager zurückgekehrt, wo Kleist, Karl und Schiller im Schutz des Musentempels bei einer Partie L’Hombre ums Feuer versammelt saßen. Arnim antwortete knapp, aber nicht unfreundlich auf ihre Anrede und begab sich danach sofort in sein Zelt, um dort seine Siebensachen für die Heimkehr zu packen. Gerieten ihm dabei Gegenstän de aus Bettines Besitz in die Hände, so ließ er sie augenblicklich fallen, als wären sie von einer ätzenden Säure überzogen.
Seine Kameraden staunten nicht schlecht, als Arnim, Hut auf dem Kopf, Ranzen auf dem Rücken und Entschlossenheit im Antlitz, aus dem Zelt trat und unter dem Felsvorsprung von ihnen Abschied nahm. »Ade nun, meine Waffenbrüder«, sagte er mit zarter Melancholie. »Ich gehe fort.«
»Der Tausend! Achim!«, rief Kleist, »wohin willst du denn so spät am Tage? Wann kehrst du wieder?«
»Ich kehre nimmer wieder. Eher soll die Kugel in ihren Lauf zurückkehren als ich auf diesen verfluchten Berg. Ich gehe zurück nach
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