Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
Rock der Franzosen, und auf den Brustwehren der Festungswälle flatterte die Trikolore. Dies war keine deutsche Stadt mehr, dies war eine französische Garnison.
    Goethe drehte seinen dünnen Schnauzbart zwischen den Fingern – denn sie hatten die Bärte ihrer Reise nun rasiert, über der Lippe das Haar aber stehen lassen, um mehr wie Franzosen zu scheinen.
    »Mainz«, sagte vom Kutschbock Arnim, weil es kein anderer aussprach.
    »Wir sehen es, mein Herz«, entgegnete Bettine.
    Humboldt streckte sich in den Steigbügeln. »Die Wie ge der deutschen Freiheit.«
    »Oder das Grab der deutschen Freiheit«, meinte Kleist mit Blick auf die französischen Soldaten in der Ferne. Er spuckte aus. »Heuschrecken lassen sich dichtgeschloss ner nicht auf eine reife Saatenflur nieder.«
    Goethe wendete sein Pferd auf dem Fleck, um der Gruppe zugewandt zu sein. »Liebe Gefährten, dies ist der Zeitpunkt, da ein jeder in sich horchen mag, ob er tatsächlich gewillt ist, in dieses Wespennest einzufahren. Es gibt weiß Gott bequemere Wege zurück über den Rhein als mit dem wertvollsten Gefangenen des Kaisers quer durch Mainz.«
    Madame de Rambaud, die den Kopf aus dem Fenster der Kutsche gesteckt hatte, setzte eine Miene auf, als hät te sie in sauer Obst gebissen, aber Goethe gab ihr mit einem Kopfschütteln zu verstehen, dass sie als Einzige nichts zu befürchten hatte.
    Schiller blickte aufmunternd in die Gesichter seiner maskierten Kameraden, aber nur Kleist erwiderte sein Lächeln. »Wir können viel, wenn wir zusammenstehen«, sagte er. »Jetzt, Gesellen, frisch!«
    Kleist zog seinen Säbel aus der Scheide. »Gift und Dolch der Afterbrut! Färben wir die Triften mit ihren Knochen weiß!«
    Goethe hob die Hände. »Bitte, Kinder, nicht diese ständige Blankzieherei, am Ende verletzt sich noch jemand. Und genug der blutdürstigen Parolen. Wenn wir in Mainz einreiten, wollen wir dies sittsam tun, als die Nationalgarde Seiner Majestät Napoleons I. die wir darstellen. Nehmen Sie also Haltung an, meine Herren, und sprechen Sie nur, wenn Sie gefragt werden – und wenn Sie des Fränkischen mächtig sind. Aufgrund meiner grauen Haare und meiner hohen Stirn werde ich den Hauptmann geben und mit den Wachen diskutieren. Wenn diese Vollmacht Fouchés aber hält, was sie verspricht, sollten wir ohne Schwierigkeiten in die Festung gelangen. Was meinen Sie, Herr von Kleist?«
    »Sie sind der Herr und ich der Diener, Euer Exzellenz. Gehorchen ist mein Los und nicht zu denken.«
    »Hört, hört, artig gesprochen. – Also: Allons, mes valeureux soldats! Kratzen wir die kostbare Kastanie aus der Glut!« Hierauf schnalzte Goethe mit der Zunge, und sein Pferd führte den Weg voran, den Hügel hinab nach Mainz.
    Im Schatten der Bastionen und Festungswälle gelangten sie ans Gautor. Der Hauptmann der Wache grüßte Goethe, und der erwiderte den Gruß militärisch und stieg vom Pferd.
    »Ihre Ausweispapiere«, bat der Hauptmann.
    »Ihr braucht unsre Ausweise nicht zu sehen«, sagte Goethe und überreichte dem Mann statt dessen den Freibrief Fouchés.
    Der Mann war von dem Schreiben sichtbar beeindruckt. Nachdem er es durchgelesen hatte, schaute er auf und fragte: »Wen führen Sie mit sich, Lieutenant?«
    »Eine Dame, deren Namen ich Ihnen nicht nennen werde, und deren Zofe.«
    Der Hauptmann warf einen kurzen Blick auf die zugezogenen Vorhänge hinter dem zerschlagenen Kutschenfenster. »Wann sind Sie in Paris aufgebrochen?«
    »Am 19. Februar.«
    Goethes Gegenüber zuckte regelrecht, als hätte man ihn beleidigt. »Wann?« fragte er streng nach.
    »Am 19. Februar. Warum?«
    Der Wachmann sah von Goethe zu seinen Männern, die am Tor Dienst taten, und zurück. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass er kurz davor war, Alarm zu geben. Niemand wusste, was zu tun war, und so manche Hand klammerte sich fester um die Zügel. Die Posten traten zum Hauptmann, ihre Musketen in der Hand.
    In dieser tödlichen Stille lachte Kleist unvermittelt auf, so laut, dass es von den Wällen widerhallte. Die anderen betrachteten ihn, als hätte sein Verstand eine Sonnenfinsternis genommen.
    » Nom de Dieu! Ist unser Lieutenant nicht ein unvergleichlicher bouffon ?«, fragte Kleist schließlich in perfektem Französisch, nachdem er sich zwischen Lachern eine Träne abgetupft hatte. »Meint den 30. Pluviôse und sagt den 19. Februar. Diese Scherze bringen Sie eines Tages noch aufs Blutgerüst, mon Lieutenant .«
    Nun breitete sich auch auf dem Mund des Hauptmanns ein

Weitere Kostenlose Bücher