Das Erlkönig-Manöver
revolutionären Besatzer euphorisch begrüßt, und schon zwei Tage darauf gründet sich ein Mainzer Jakobinerklub. Custine unterstützt die jakobinischen Bestrebungen der Bürger. Freiheitsbäume werden in Mainz und überall im linksrheinischen Umland errichtet. Im Februar 1793 werden erstmals Wahlen abgehalten, und einen Monat später tritt im Deutschhaus zu Mainz der erste Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent zusammen. Das neue Parlament unter dem Professor der Philosophie Andreas Josef Hofmann und dem Universitätsbibliothekar Georg Forster ruft das Gebiet von Landau bis Bingen zum Freistaat aus, der den Gesetzen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gehorcht, und sagt sich los vom deutschen Kaiser und vom Heiligen Römischen Reich.
Da die Mainzer Republik ohne fremde Hilfe nicht überleben kann, beschließen die Abgeordneten, die Vereinigung mit Frankreich zu beantragen. Aber preußische Truppen stoßen bereits über den Rhein in die Pfalz vor, und schon wenige Tage nachdem Georg Forster die Mainzer Réunionsbitte vor dem Pariser Konvent vorgetragen hat, hat Preußen die Pfalz zurückerobert und Mainz, »den Leuchtturm der deutschen Freiheit«, eingeschlossen und belagert. Die Mainzer Republik beschränkt sich nun auf die Stadt allein. Drei Monate lang trotzen die Bürger und die französischen Besatzer den Haubitzen der Preußen, die die Festungsstadt zu Schutt und Asche bombardieren, aber im Juli kapituliert Mainz.
Die Franzosen dürfen ungehindert abziehen, die Mainzer Klubisten aber werden verfolgt, inhaftiert, enteignet und geächtet oder vom echauffierten Mob auf offener Straße gerichtet. Im französischen Exil kämpfen sie als »Société des Réfugiés Mayençais« weiter für die Annexion der linksrheinischen Gebiete durch Frankreich. General Custine wird vom Pariser Revolutionstribunal für den Verlust von Mainz und der Pfalz verantwortlich ge macht und guillotiniert. Georg Forster stirbt in Paris, oh ne nach Mainz zurückgekehrt zu sein. Kurfürst Erthal hingegen zieht ein Jahr nach seiner Flucht unter großem Pomp wieder in der Stadt ein.
Doch bald wendet sich das Blatt der Geschichte abermals: 1794 wird die Stadt erneut belagert, diesmal von den Franzosen, die die Festung Mainz zurückerobern wollen, aber österreichische Entsatztruppen befreien die Stadt.
Eine abermalige französische Belagerung wird 1796 abgebrochen. Schließlich fällt Mainz nicht durch Waffengewalt, sondern durch Diplomatie in die Hände der Franzosen: Nach dem Siegesmarsch der Revolutionshee re in Deutschland willigt Kaiser Franz II. im Friedensvertrag von Campo Formio 1797 in die Abtretung des linken Rheinufers ein. Abermals marschieren französische Truppen in Mainz ein, und diesmal bleiben sie.
Mainz, jetzt Mayence, wird Hauptstadt des neu geschaffenen Verwaltungsbezirks Donnersberg. 1802 erfolgt die endgültige Vereinigung mit Frankreich. Die Mainzer werden Citoyens, erhalten die Bürgerrechte, einen französischen Präfekten und einen neuen Kaiser, und die ehemals kurfürstliche Residenzstadt wird das neue Bollwerk, das Schaufenster Frankreichs, neben Antwerpen und Alexandria eine der Pforten zu Napoleons großem Reich.
Die untergehende Sonne im Rücken, erreichten die Gefährten am Nachmittag des darauffolgenden Tages ihr Ziel. Die Schatten der nackten Bäume lagen lang über dem Pflaster der Pariser Allee. Auf einer Anhöhe zwi schen zwei Schanzen zugehen sie ihre Pferde. In der Tie fe lag Mainz wie der Schauplatz in der Mitte eines Amphitheaters, mit den Terrassen der umschließenden Hügel als Logen. Die halbrunde Festung saß am Ufer des Rheins gleich einem Igel, die zahllosen großen und kleinen Stachel der Bastionen nach außen gerichtet – und am anderen Ufer Kastel, ein ebenso wehrhafter, wenn auch kleinerer Igel, durch eine Schiffsbrücke mit Mainz verbun den – wie ein Kind durch seine Nabelschnur an der Mut ter hängt –, der einzige rechtsrheinische Besitz der Franzosen, der Fuß in der Tür zum Deutschen Reich.
Die Türme der Stadt ragten aus dem Feld der Dächer empor, etliche von ihnen demoliert und hohl wie einge schlagene Krüge, dazwischen aber die Gerüste des Wiederaufbaus und in der Mitte all dessen der wuchti ge rote Dom. Geradezu lag die Zitadelle und auf einem ihrer Zacken das klobige Grabmal aus der Römerzeit. In der Dämmerung sah man das emsige Treiben der Mainzer, die wie Ameisen in ihrem Bau durch die Gassen der Stadt liefen. Jede zweite dieser Ameisen aber trug den blauen
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