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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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nicht, als wären Sie ein gebürtiger Franzose, mon Capitaine«, sagte Goethe, der das Französische seinerseits untadelig beherrschte.
    »Ich bin Franzose dem Herzen nach, das zählt«, erwiderte der Offizier.
    »Der Capitaine stammt aus Ingolstadt«, erklärte Saint-André nicht ohne Stolz, »aus dem Kurfürstentum Baiern, dem treusten aller Vasallen Napoleons. Aber dort ist es bedauerlicherweise noch immer nicht möglich, als Mann ohne Adel Offizier zu werden. Nur die französische Armee belohnt die Leistung ihrer Soldaten, nicht deren Namen, und selbst ein Besenbinder kann bei uns zum General aufsteigen, wenn’s ihm an Mut und Geschick nicht fehlt. Dass Capitaine Santing als Deutscher für die Sache des Kaisers kämpft, demonstriert das Völkerübergreifende von Napoleons Ideen .«
    »Meine größte Hochachtung, dass Sie den Prätendenten in Hamburg abfangen konnten«, sagte Goethe. »Darf ich Sie dennoch bitten, mon Capitaine , für die Dauer der Gegenüberstellung diesen Raum mit Ihrem Adjutanten zu verlassen?«
    »Ich bleibe, Lieutenant Bassompierre«, erwiderte Capitaine Santing. »Es gibt vor mir keine Geheimnisse mehr; ich kenne den Mann schließlich.«
    Goethe zögerte einen Moment, verzichtete dann aber darauf, dem anderen zu widersprechen. »Wo ist der Gefangene?« fragte Goethe den Präfekten.
    »Im Gebäude. Ein Wink, und ich lasse ihn holen. – Wenn ich zuvörderst noch fragen dürfte, wie das Prozedere sein wird?«
    »Wir stellen den Mann der ehrenwerten Madame de Rambaud gegenüber, die ihn in Augenschein nehmen wird. Sollte sie sich unsicher sein in ihrem Urteil, wird sie dem Mann einige Fragen stellen, auf die nur der echte Louis-Charles die Antwort wissen kann. Ist er nicht der Dauphin, sperren wir ihn auf Monsieur Fouchés Geheiß weg. Ist er es aber, warten auf ihn drei Kugeln und ein tödlicher Aderlass, und seine Leiche bringen wir nach Paris.« Hier wies er auf die Gewehre von Humboldt, Kleist und Arnim.
    » Vier Kugeln«, berichtigte der Capitaine. »Ich will es mir nicht nehmen lassen, auch mein bleiernes Scherflein zum Tod der Tyrannenbrut zu geben.«
    »Ausgeschlossen«, entfuhr es Goethe schneller, als ihm lieb war.
    »Weshalb wollen Sie mir diesen Spaß versagen?«
    »Die Vollstreckung des Urteils ist allein Sache der Na tionalgarde.«
    »Wünschen Sie das Pulver zu sparen?«
    »Es ist ausgeschlossen, sage ich.«
    » Contenance , Lieutenant. Ich bin der höherstehende Offizier. Im Zweifelsfall setze ich qua Rang mich einfach über Sie hinweg.«
    Den Disput über hatte Santing nicht einmal sein Lä cheln unterbrochen. Goethe wandte sich nun Hilfe suchend an Saint-André. »Ich ersuche Sie, Monsieur le Préfet, seien Sie uns unparteiischer Richter, was in dieser Angelegenheit obsiegen soll: der höhere Dienstgrad oder dieses Schreiben des Polizeiministers.« Hierauf nahm er die Vollmacht aus seiner Weste und reichte sie Saint-André, der sich damit an seinen Sekretär setzte, um sie zu überfliegen.
    »Ich fürchte, Sie müssen sich den Anweisungen des Lieutenants, die ihrerseits von allerhöchster Stelle kommen, fügen«, sagte er schließlich zu Santing, dem es nur mühsam gelang, seinen Verdruss zu verbergen.
    Nun, da diese tückische Klippe umschifft war, wies Saint-André seinen Kommis an, den Gefangenen kommen zu lassen. Ein schweigsamer Moment verging, in dem Saint-André Bettine einen Stuhl zurechtrückte und ihr gegenüber einen zweiten platzierte. Dann kehrte der Diener des Präfekten zurück, gefolgt von zwei Männern, die zwischen sich den Gefangenen führten. Der Mann trug Ketten an Füßen und Händen und über dem Kopf einen Leinensack. Er war hager, fast schon ausgezehrt zu nennen, und die ehemals anständigen Kleider waren durch den fortwährenden Gebrauch schmutzig und fadenscheinig geworden. Die beiden Begleiter verließen das Bureau wieder, nachdem sie den Gefangenen auf den Stuhl geführt hatten. Der Kommis verschwand im Nebenraum, ließ die Flügeltür aber offenstehen.
    »Sie wissen, warum Sie hier sind?«, fragte Goethe.
    Der Maskierte drehte den Kopf in die Richtung, in der er den Sprecher vermutete. »Ja, Monsieur.« Er räusperte sich.
    »Madame de Rambaud?«
    Bettine nickte.
    Darauf zog Goethe den Sack vom Haupt des Gefangenen. Zum Vorschein kam ein Jüngling, dem ein lichter Bart von zwei Wochen die eingefallenen Wangen und das Kinn bedeckte. Seine aschblonden Haare waren kraus und ungepflegt. Die obere Zahnreihe stand hervor, ein Eindruck, der ihn jünger

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